PAUL BEAUCHAMP: Grey Mornings

In den frühen Morgenstunden liegt nicht nur ein Zauber, der vielen Nachtmenschen entgeht, auch ist die Wahrnehmung für Inneres und Äußeres noch unverfärbt durch diversen Kram, der sich später im Geist ansammelt. Paul Beauchamps Album „Grey Mornings“ ist primär ein Porträt der vielleicht wichtigsten Orte in seinem Leben, die zufällig noch eine Namensähnlichkeit aufweisen: Seinen Geburtsort im Piedmont County in North Carolina und die Region des Piemont um seine heutige Heimatstadt Turin im Norden Italiens. Was er in dem Album verarbeitet sind jedoch Eindrücke und Empfindungen, die diese Orte v.a. in den ganz frühen Stunden des Tages hervorrufen.

Grundsätzlich bleibt Beauchamp seinem Interesse an Ambient und Drone treu, und auch seine Affinität zu schwer greifbaren Stimmungsnuancen, die schon sein dunkel einlullendes Debüt „Pondfire“ geprägt haben, scheint nicht nur ungebrochen, sondern weiter verfeinert. Dies allerdings resultiert aus einer wesentlichen Entwicklung heraus, nämlich seinem merklich erweiterten Klangspektrum und dem Einbezug verschiedener Instrumente und Geräusche.

Einige der Feldaufnahmen werden – mit Unterstützung von Blind Cave Salamander-Kollegin Julia Kent) – in unterschiedlichem Grad im Studio unkenntlich gemacht, sodass primär der Effekt von Fülle und Detailreichtum bleibt – eine Eigenschaft, die sich vor allem durch die klare Klanggestaltung besonders deutlich abzeichnet. In „Condense“ kommt all dies aber erst mit der Zeit zur Geltung, zu Beginn klingt das leise Intro noch wie der Inbegriff eines zaghaften Morgengrauens. Im Laufe des Vollerwerdens offenbart das flächig-ambiente Erwachen jedoch immer mehr an unbestimmbaren Details: In versteckten Ecken rasselt es, fast meint man, ein Getriebe rattern zu hören, der geheimnisvolle Klang einer singenden Säge schafft einen zusätzlichen Zauber. „Crawl“ wirkt weniger wie eine Fortsetzung des Erwachens als wir ein Neustart, der alles in eine größere Klarheit emporhebt: leises Saitenkratzen auf einem Apallachian Dulcimer dringt wie Sonnenlicht durch die dicke Schicht der schwebenden Drones, Streicher oder ähnlich klingendes erschaffen freundliche Lichter, die stärker werden, sich aber Zeit dabei lassen.

Das alles könnte nun auf einem Smoothy hinauslaufen, und gerade bei einem Ambient-Score zum Erwachen pastoraler Landschaften würde das nichts unbedingt Gutes bedeuten, doch Beauchamp beweist hier ein Händchen dafür, subtile Spannung ins Idyll zu bringen. Mysteriöses, fast schon ein bisschen unheimliches Poltern und Kramen gibt „Tendril“ einen rätselhaften Touch, und die eher schwer verdaulichen Soundbrocken unter der Oberfläche von „Drift“ oder der beinahe folkig-schlaftrunkenen Melodie in „Haze“ sind ähnliche Spannungsmacher wie die repetitiven, hallunterlegten Saitenanschläge im vordergründig so entspannten „Enclose“.

Aufgelöst wird dieses Spannungsverhältnis nicht, in der einen oder anderen Form hält es sich bis zum maschinellen Ausklang von „Murk“, mit dem man schließlich im prallen Tageslicht angekommen scheint – gerade dies lässt diese dunkle, „impressionistische“ Musik so ungekünstelt wirken.

Label: Boring Machines