Im nicht mehr ganz taufrischen dritten Millenium unserer Zeitrechnung ist es mittlerweile eher zu erwarten, dass jüngere Musikprojekte zumindest partiell in der Tradition früherer Errungenschaften stehen und diese, wenn sie über das nötige kreative Potential verfügen, nicht bloß revitalisieren oder gar kopieren, sondern unter anderen Vorzeichen in neue Richtungen lenken. Seit den Jahren um 2000 gibt es immer wieder Bands, denen nachgesagt wird, in den Spuren der sogenannten World Serpent-Family aus dem England der späten 80er und frühen 90er zu wandeln, aben in den meisten Fällen sind das nur die immer gleichen schnarchigen Klampfbarden mit Stock im Arsch.
Wenn einmal jemand der unaufgeräumten, heterogeneren, nach schwarzgalliger und gleichsam hippiesker Outsider Art riechenden Seite von Englands versteckter Kehrseite huldigt, stimmt mich das meist euphorisch, und im Zweifelsfall nehme ich dann gerne auch in Kauf, wenn eine Sängerin abwechselnd so stark nach David Tibet, Edward Ka-Spell und Little Annie klingt, dass man es kaum für Zufall halten kann. Ich gebe zu, dass das – bei aller guten Absicht – nicht die schmeichelhafteste Einleitung zu 23 Threads ist, aber Fakt ist Fakt, und das neue, von feurigem Geschrammel, stimmungsvollem Fingerpicking, holprigen Takten und wunderschönen Flötentönen überquellende Album der mehrheitlich in Polen ansässigen Band ist, Referenzen hin oder her, eine äußerst erfreuliche Angelegenheit.
Wie aus weiter Ferne erklingt ein dumpfes Pulsieren, wird herausgezoomt und greift einen auf, trägt einen langsam durch einen dunkel ausgeleuchteten Raum, an dessen Wänden sich ein verrauschter Poesievortrag wie verschwommene weiße Lettern abzeichnet. Die Stimme von Ingrid Swen wird einem immer wieder begegnen und durch die unterschliedlichsten Stationen begleiten: in entspannter Kühlheit durch ebenso entspannte Gitarrenlandschaften und drahtiges, wildwüschsiges Strumming, in dialoghafter Dopplung wie zwei übreinander geklebte Gedichte durch rückwärtsgespielte Passagen, die wie so viele Stellen immer mal ins Hörspielhafte abzubiegen drohen; hexig flüsternd durch mittelalterliche Traumwelten und schwülen Desert Folk, bösartiger noch durch futuristische Synthies und durch die Puppenhaus-Ästhetik gluckernder Elektronik coil’scher Provenienz.
Laut eigener Angabe erzählt “The Ornaments” eine literarische Geschichte in neun Kapiteln, dem Untertitel und einigen Anspielungen zufolge in den insgesamt eher hermetischen Lyrics dreht es sich v.a. um die Figur der Miranda aus Shakespeares Sturm, von der die Phrase “Brave New World” stammt, und der der Maler John Waterhouse später eine unvergessenes Gesicht gegeben hat. Von dessen spätromantischem Ästhetizismus ist die Umsetzung von 23 Threads jedoch weit entfernt, und auch wenn die musikalische Gestalt eine schöngeistige, filigrane Seite nicht leugnen kann, zeichnet sie durch ihre oft rumpelige Exzentrik, die immer wieder zwischen Folk und experimenteller Montage wechselt, ein wesentlich rauhaarigeres Bild von ihrem Nachleben als Geist.
23 Threads, deren bisheriges Output an mir vorbeigegangen ist, kann man zu dem Album nur gratulieren. Bevor sie irgendwann vielleicht mal eine andere Richtung einschlagen, sollten sie unbedingt mit Futeisha kollaborieren. (U.S.)
Label: Zoharum