Wenn man das neue Sangre de Muerdago-Album „Noite“ hört, mag man kaum glauben, dass Sänger Pablo einmal dem Punk- und Noiserock-Untergrund seiner galicischen Heimat entsprungen ist. Seit mehr als zehn Jahren nun steht die mittlerweile in Deutschland ansässige Band für diejenige Spielart des Folk, die mit die interessantesten Musiker hervorbringt, nämlich eine Richtung, die auf fragile, schöngeistige Art naturverbunden ist und zugleich in der Tradition der z.T. psychedelisch angehauchten Erneuerer der 70er wie Trees oder The Incredible String Band steht. Wer also bei der Musik von In Gowan Ring, Constantine oder Trappist Afterland in Verzückung gerät und vielleicht noch ein Faible für’s Iberische mitbringt, der ist bei der Gruppe, deren Name Blut der Alraune bedeutet, genau richtig.
Meine Kenntnisse des Spanischen sind begrenzt, vom Dialekt des im Nordwesten des Landes gelegenen Galicien ganz zu schweigen, und doch lässt sich einigen Songtiteln und der Stimmung entnehmen, dass sich auf dem neuen Longplayer der Band alles um die Nacht dreht – der Nacht, die sich im eröffnenden Instrumentalstück „Medianoite“ wie eine gütige Decke über eine verzauberte Landschaft legt, die die zur Ruhe gekommenen in „Xuramento“ von schönen Flötenklängen begleitet mit sanfter Melancholie infiziert, die in „O Canto do Luar“ die Bühne für eine leidenschaftliche Hymne an den leuchtenden Mond bereitet. Dass die beteiligten Musiker durchweg über eine solide Palette von Instrumenten und Spieltechniken verfügen, zählt zu den großen Stärken der Band und gibt den zwölf Songs ihren jeweils eigenständigen Charakter. In vielen Stücken bildet besinnliches Saitenspiel das Fundament, das aber immer etwas anders klingt, je nachdem, ob es auf einer klassischen Gitarre oder auf verschiedenen Harfen gespielt wird.
Bei anderen wiederum gibt die Drehleiher den Ton an und verleiht einigen Songs einen mittelalterlichen Touch, der in seiner unprätentiösen Ernsthaftigkeit aber weit entfernt ist von enervierendem Jahrmarktsgedudel. Streicher und Perkussion kommen hinzu, und so laden „Lume de Solisticio“ und „Mariñeiros“, die ein bisschen an bretonische Musik erinnern, zum beschwingten Tanz, völlig ins Dronige entrück dagegen ist „O Amor“, bei dem die ganze Szenerie gegen Ende vollends von der Nacht verschluckt wird. Über all dem schwebt die sanfte Stimme Pablos, die ungestelzt und immer von etwas Wehmut durchdrungen ihre melodische Poesie ausbreitet. (U.S.)
Label: SickManGettingSick Records