Die norwegischen Trondheim Voices sind ein ungewöhnlicher Chor, und auf den ersten Eindruck tut man sich fast etwas schwer, einen solch traditionellen Ausdruck zu verwenden. Er besteht je nach Auftritt aus sieben bis zehn Sängerinnen, die während der Shows, die meist an Orten mit besonderer Akustik stattfinden, ständig ihre Positionen verändern und damit die Gegebenheiten des jeweiligen Ortes bestmöglich ausnutzen – ausgestattet mit unverkabelten Boxen, in denen sich Kontaktmikrofone, Loop- und sonstige Effektgeräte befinden. Diese sogennannten Maccatrols wurden von Asle und Arnvid Lau Karstad exklusiv für die Trondheim Voices entwickelt, als Technikerin begleitet Asle die Band auf bislang allen Konzerten.
Die CD mit dem passenden Titel “Rooms and Rituals” enthält eine Auswahl an Mitschnitten verschiedener Konzerte, von denen eines im Rahmen des 2017er Jazzfest Berlin in der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche stattfand. Wer bei der genannten Gerätschaft nun erwartet, dass es sich um ein klanglich opulentes Werk handelt, bei dem die menschliche Stimme nur partiell als solche zu erkennen ist, liegt ganz richtig: Wie ein von Zwitschern und Pfeifen durchwirkter Auftakt einer Amient- oder Industrial-Platte wirkt das Intro “Steamsaw”, erst nach einiger Zeit gibt sich ein spröder Stimmenchor zu erkennen. Viele der Stücke wirken skizzenhaft und manche scheinen auf den ersten Blick aus einem Durcheinander von hochtönenden, gluckernden, summenden und schrill pfeifenden Sounds zu bestehen, doch mit der Zeit machen sich Strukturen bemerkbar, die in ihrer spontanen Wandelbarkeit zwar improvisiert wirken, dabei aber die Durchdachtheit eines oft mehrschichtigen Kanons aufweisen.
Das Wiederholen bestimmter Motive, das Tremolieren und Phrasieren an bestimmten Stellen scheint Methode zu haben und mutet gelegentlich an wie eine subtil beigemischte Zitatenfolge aus Blues, Folk und Alter Musik. Mehr als ein bloses Zitat ist das in “Hymn” adaptierte Traditional aus dem norwegischen Folkfundus, dessen melancholische, an ein trostspendendes Kinderlied erinnernde Lieblichkeit hier in eine rauschende, kratzende Hülle gepackt einen ganz eigenen Charakter erhält – wie Windrauschen muten die spontan erzielten Effekte an, und man meint für Momente die Musik auf der Begspitze über einem rauen Fjord zu hören. Großartige Musik, die bestimmt live ein besonderes Erlebnis beschert. (U.S.)
Label: Grappa Musikkforlag