Anana Ag Haroun und seine Band Kel Assouf zählen seit dem Debüt “Tikounen” zu den innovativsten und kompromisslostesten Musikern am südlichen Rand der Sahara – das schrieb u.a. auch der Guardian, der für die schwer zu kategorisierende Stilmischung und die ethnische Herkunft der Band noch den Begriff Tuareg verwendete. Haroun selbst zieht die Begriffe Ishumar für die Musik und Kel Tamashek für die Volksgruppe vor, weil sie keine Fremdbezeichnungen und obendrein spezifischer sind. Mit Purismus hat dieser Anspruch allerdings wenig zu tun, denn mehr denn je vereinen die zwischen Niger und Belgien pendelnden Kel Assouf auf “Black Tenere” klassischen Rock und tanzbare Elektronik sowie regionale und internationale Spielweisen von einst und jetzt.
Was besonders beeindruckt ist zugleich eine wahrscheinlich zufällige Uminterpretation eines musikalischen Heiligtums aus den Annalen des Rock, nämlich die Verpflanzung von Motiven eines traditionell eher schicksalsschweren Hard Rock, bei dem einem eben nicht nur Led Zeppelin, sondern auch Black Sabbath und Blue Cheer einfallen, in eines der lebensbejahendsten Klangbiotope. Kleine Verschiebungen zwischen dem bluesigen Gitarrenspiel und dem monotonen Takt der Rhythmussektion verwandeln den deftigen Opener “Fransa” nach Sekunden in leidenschaftliche Entgrenzung, die durch den effektunterlegten, heiseren Gesang des Frontmannes noch gesteigert wird, und die subtilen Beigaben des Keyboarders Sofyann Ben Youssef tun ihr übriges.
In ein ähnliches Wechselspiel geraten die kratzig verzerrten Riffs in “Alochyan” und “America” mit den galoppierenden, skeletthaften Takten des an Jazz geschulten Drummers Oliver Penu, bei denen für westliche Ohren sicher das “Afrikanische” besonders hervorsticht. Einige Flugstunden südwärts hören viele vielleicht nicht erst bei den mit Orgelwabern verschwimmenden Crossoverbeats von “Tenere” eher das Westliche in dieser Musik, doch im Grunde verschwimmen all diese Kategorien durchgehend zu einer derart stimmigen Einheit, dass man sie sich mit der Zeit kaum noch getrennt voneinander vorstellen mag. Gerade die berührenden Melodien, die Harouns heißere Stimme in seiner ersten Muttersprache Tamashek intoniert, wirkten zusammenhaltend, was besonders im ambient-balladesken “Tamatant” auffällt. Wo dies für Momente in den Hintergrund gerät, übernimmt hämmerndes Freakout die Kohärenzstiftung, doch stets bewirken selbst die längsten Kakophonien nur, dass das tief purpurne Orgelparadies in “Amghar” oder der erst nach Minuten einsetzende stimmungsvolle Song in “Ariyal” noch berührender ausfallen.
“Black Tenere” ist aber nicht nur ein mitreißendes Album, sondern auch ein positisches Statement, das sich auf textlicher Ebene, die hierzulande vermutlich wenigen unmittelbar zugänglich ist, mit der Situation von Harouns Volksgruppe in Niger und angrenzenden Staaten in mal kämpferischen, mal nostalgischen Versen auseinandersetzt. “’Black Tenere’ talks about the Tamashek tragedy, its history since colonization until today, and the geopolitics that unfolds in the desert for its natural resources”, äußert er in den Linernotes und gibt so der Musik eine weitere Dimension, die das Hörerlebnis nicht unberührt lassen kann.
Label: Glitterbeat