JOOLS HOLLAND / MARC ALMOND / THE RHYTHM AND BLUES ORCHESTRA: A Lovely Life to Live

Wenn es etwas Offensichtliches gibt, dass Jools Holland und Marc Almond gemeinsam haben, dann ist es – abgesehen vom Most Excellent Order of the British Empire, den beide Künstler bereits für den Rang eines Officer verliehen bekamen – die kreative Dauerrotation, das Interesse an Kollaborationen quer durch viele Musikgenres und das enthusiastische Fantum, mit dem der Pianist und BBC2-Moderator und die Sängerlegende ihre kleinen und großen Helden ins eigene Werk einbeziehen. Zusammengearbeitet haben die beiden schon mehrfach, mit “A Lovely Life to Live” ist vor kurzem ihr erstes gemeinsames Album erschienen, das zusammen mit dem Rhythm & Blues Orchestra die großen Tage dieser Musikrichtung feiert – und einmal mehr klingt der in Chanson, Soul und Electropop, in Garagenrock, Folk und Weltmusik bewanderte Almond, als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Eine nostalgische Aura umgibt die vierzehn Songs auf dem Album und schickt uns per Zeitmaschine in ein imaginäres London der Jahre um 1960, in die Zeit kurz vor Antonionis Blow Up und dem beschwingte Treiben in der Sohoer Carnaby Street. Oldtimer, starke Zigarren, Tee oder je nach Uhrzeit doch lieber Scotch und die verspielt-raffinierten Düfte von Penhaligon’s – nicht all dies ist unmittelbar an Ort und Zeit gekoppelt, ebenso die Rhythm & Blues-Musik, die ihren Ursprung immerhin auf der anderen Seite des Atlantik hat, doch dieses eher assoziative Tagging gehört bei der mythischen Verklärung einer Zeit, die man primär aus Büchern und Filmen kennt, mindestens zum Erlaubten, vielleicht sogar zu den obersten Geboten.

Von “Gipsy Rover” mit seiner schummerigen Orgel, das auf einem Gedicht der Autorin Susan Palmer-Jones basiert, bis zum Klassiker “Oh When the Saints Go Marching In”, bei dem Almond den Sängerinnen des Ensembles den vorderen Platz überlässt, durchzieht die zum Teil schon konzerterprobten Songs eine schillernde Aufgewecktheit, wie man sie vom Entertainment besserer Tage her kennt. Doch auch die Wehmut hat ihren Platz, auch wenn diese viel unterschwelliger durchscheint als auf Almonds Vorgängeralbum “Shadows and Reflections”. Generell ist diese nicht so sehr auf das Verpasste, Verlorene fokussiert, sondern bringt eine starke Sehnsucht nach dem Möglichen zum Audruck, und dies vielleicht am deutlichsten beim Titeltrack, einem von frohsinnigem Barpiano vorangetriebenen Loblied auf den Zauber der Liebe. “Dirk Bogarde and Me (Take Tea)” ist von ähnlicherer Stimmung: eine liebevolle Hommage an eine der Ikonen der Zeit als Teenager-Fantasie, deren Klavierparts glatt aus einem der launigeren Baby Dee-Songs gefallen sein könnten – hier ist Almond wieder ganz The eternal Boy, der oft viel rebellischer auftritt als allgemein geglaubt, doch im Bobby “Blue” Bland-Cover “It’s my Life Baby”, einem bluesigen Mittelfinger gegen alle toxische Liebelei, sollte da kein Zweifel mehr bestehen. Reines Verklären romantischer Projektion dagegen findet sich in Edith Piafs “Hymne à l’Amour” und in Irving Berlins “How deep is the Ocean”. Dazwischen steht die Big Band-Version von “Tainted Love” mit Background-Chor, die mehr den je dem Original von Gloria Jones nahkommt.

Gerade einige Stücke aus eigener Feder sind direkt der Heimatstadt der beiden gewidmet, pessimistisch gefärbte Liebeserklärungen an London und zugleich sozialkritische Abgesänge auf den Lauf so mancher Dinge. “I lost my City”, das orchstralste und vielleicht auch süßlichste Stück der Platte, besingt das Untergegangene, das hinter den Fassaden eines neuen London mit seinen Glattheiten und seinen vielen Spaltungen und Spannungen ein spukhaftes Nachleben führt. Ähnliches klingt in “London, you were my Lover” an, wohingegen “Workhouse Blues” die fast schon nostalgich anmutende Tretmühle des alltäglichen Hamsterrades ebenso schonungslos beim Namen nennt wie einst Tennessee Earnie Ford in “Sixteen Tons”. All dies, auch wenn es traurig klingt, wird eingefangen in der Szenereie eines gar nicht deprimierenden Zeitgemäldes mit viel Kolorit, einem alten oder die alte Zeit porträtierenden Film, den man sich gerne an einem verrengneten Sonntagnachmittag ansieht.

Für Jools Holland-Fans (auch wenn er meist als graue Eminenz des britischen Popbiz gilt, gehe ich davon aus, dass es sie auch bei uns gibt) ein Muss, spricht das Album unter den Almondfans vor allem die an, die ein besonderes Faible für seine gar nicht so heimliche Black Music-Seite haben – diese bekommen eine vielfarbige Vorgeschichte seines “Shadows and Reflexions”, womit sich das Sixties-Bild Almonds vielleicht komplettiert hat oder zumindest um eine starke Facette reicher ist. (U.S.)

Label: Warner Music