In den letzten Jahren hat die aus Kasachstan stammende Komponistin Angelina Yershova eine ganze Reihe an Alben herausgebracht, die weitestgehend im Grenzbereich zwischen verspielter Elektronik und Klavierkompositionen in der Tradition der melodischeren Minimal Music zu verorten sind. Cosmo Tengri stellt in vielfacher Hinsicht eine Erweiterung ihres Spektrums und eventuell auch einen Richtungswechsel dar, denn nie zuvor war Yershovas Musik so spirituell, folkloristisch und in gewisser Weise auch politisch wie auf ihrem aktuellen Longplayer. Mit selbstgebauten Blasinstrumenten und der Erweiterung ihrer Gesangstechnik bringt sie auch sich selbst noch einmal ganz anders in den kreativen Prozess ein.
Kasachstan, das in Zentralasien gelegene Land von der Größe Westeuropas, das neben der turko-kasachischen auch eine große russisch sprechende Bevölkerung hat, ist hierzulande für viele ein unausgefüllter Fleck auf dem Globus, zu dem einigen vielleicht endlose Steppen und kahle Bergkämme am Horizont einfallen – jüngst wurde die Hauptstadt Astana in Nursultan umbenannt, zu Ehren des Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Der ambiente Auftakt von Cosmo Tengri vermag die Lücke mit der Illusion elementarer Regungen auszufüllen: Gesampletes Wasser evoziert das Bild eines zügig fließenden Baches, das schnelle Vibrato eines Doppelblatt-Blasinstrumentes erinnert an den wankelmütigen Wind, kräftiges Summen ertönt, und schnell wird klar, dass hier einiges in Aufruhr ist. Auch im folgenden Tumbleweed, dessen leichtfüßige Klavierparts wie Steppenhexen durch den Raum wirbeln (oder vom wehmütigen Klang windgleicher Violinen getrieben werden), ist diese Dramatik zu spüren. Ist es die Wucht des letzten Aufbäumens eines untergehenden Organismus?
Yershova hat ihr neues Album, dessen Titel auf den “Ewigen blauen Himmel”, eine pantheistische Gottheit aus archaischer Zeit verweist, mehrfach mit dem drohenden Zerfall des nicht nur regionalen Ökosystems in Verbindung gebracht, was einen solchen Deutungsaspekt nicht unplausibel erscheinen lässt. Doch gestaltet sich der Tumult in dieser 5 vor 12-Stimmung ausgesprochen kraftvoll. Das von Gulzhan Amanzol in Kasachisch geflüsterte Gedicht in “Kam Laure” schafft eine intime Stimmung, die durch immer lauter werdende rituelle Drums in Furor verwandelt wird. “Jelsiz Jel” bewegt sich mit wuchtigen Synthies und Takten, die alle ihren eigenen Kopf haben, an der Grenze zur Dissonanz und zeichnet ein alarmistisches Porträt einer urbanen Welt. Während das dronigen Titelstück mit seiner traurigen Flötenmelodie vom Vergehen kündet, schließen “Khan Tengri” und “Ecstatic Dance” das Album mit rituell-schamanistischer Wucht, die sich nicht hinter dem Trommel-Industrial rituell gestimmter Gothics zu verstecken braucht.
Mit der stellenweise dublastigen und auf Hall getrimmten Produktion hat “Cosmo Tengri” ein gewisses Breitband-Feeling, das allenfalls DIY-Puristen abschrecken könnte – Yershovas Musik allerdings war schon immer “chic”, und mit dem neuen Werk sollte sie keine Probleme beim erschließen neuer Hörerkreise haben. (U.S.)
Label: Twin Paradox