9T ANTIOPE / SIAVASH AMINI: Harmistice

Es gibt sicher Angstträume, die von bedrückender Stille sind. Handeln solche Träume vom Krieg, so ist ihnen wahrscheinlich eher eine laute, von schrillem Lärm und heftigen Detonationen durchsetzte Tonspur angemessen. “Harmistice”, dessen Titel ein Wortspiel zwischen “harm” und “armstice” (Waffenstillstand) darstellt, erzählt von solchen Träumen und wählt dazu eine dunkle, über weite Strecken industriell-noisige Klanggestalt. Der eindringlichste Faktor dabei sind allerdings die Gesangs- und Textbeiträge der Sängerin Sara Bigdeli Shamloo, in denen die Nachtgesichte wie Ereignisse der äußeren Welt in der Rückschau erzählt werden.

Die Titel der vier Tracks, die auf Assonanzen beruhen und immer eine Farbe im Zentrum haben, unterstreichen den sinnlichen Aspekt der Traumwahrnehmung, die sich gleich zu Beginn von “Blue as in Bleeding” als hochtönender Aufruhr zu erkennen gibt. Immer dichter werdende Klangschichten aus elektronischem und akustischem Material füllen bald den ganzen Raum, stürmisches Rauschen und eine losbrechende Eislawine gewähren lupenreines Uneasy Listening, das durch die taktlosen Beatansätze in keiner Weise – denn kaum eine Richtung deutet sich an – gemindert und von dem Kontrast der anfangs sanft anmutenden Vocals sogar noch verstärkt wird.

Shamloos Gesang, der immer wieder hinter rumpelndem Lärm zu verschwinden droht und am Ende doch die Oberhand behält, ist von der unverkitschten Klarheit klassischer Folksängerinnen, könnte mit feinsinnigem Ambient, wie ihn Fovea Hex spielen, oder mit Pop in der Art von Fever Ray funktionieren. Hier wirkt er vordergründig oft kontrastierend, doch meist ist er – auch natürlich mittels der Worte, die apokalyptiche Szenarien ausmalen, die aus allen spätmodernen Kriegen stammen könnten – Teil des paralysierenden Tumults. So beispielsweise in dem von zersägenden Lärmschleifen eingeleiteten “Purple as in Pain”, wo abgeklärte Rezitation ganz intim am Ohr erklingt und doch mit den hektischen Explosionen und der aufscheuchenden Sirene zu einer Einheit verschmilzen. Oder in “Black as in Burst”, wo sie nah am Flüsterton, als solcher aber laut in den Vordergrund gemischt sind, und so das erst mit der Zeit in Noise übergehnde Kreisen und Kratzen übertönen. “Silver as in Silence” scheint mit digitalen Gewehrsalven, elektrifiziertem Gesang und einem kreisenden Akustiksound, der an eine Tandora erinnert, die beklemmende Stimmung der vorigen Stücke noch einmal zusammenzufassen.

“Harmistice” wurde von den beiden in Paris lebenden Iranern Sara Bigdeli Shamloo und Nima Aghiani und ihrem in Teheran lebenden Landsmann Siavash Amini in Mail Art-Manier produziert und ist eine beeindruckende Wegmarke in den Laufbahnen der Beteiligten, die aufmerksame Leser unserer Seite schon von der Compilation “Girih” her kennen, auf der beide Acts und Shamloos Soloprojekt SarrSew vertreten sind.

Label: Hallow Ground