ORIENTAL WINDS OF THE BAROQUE: s/t

Unter dem Namen Oriental Winds of the Baroque firmiert ein Quintett, dessen musikalische Herkunft eine ganze Welt umspannt. Da wäre Bandleader Rolf-Erik Nystrøm, ein Komponist und Saxophonspieler, der in der Avantgarde und freien Improvisation ebenso zuhause ist wie in vielen traditionellen Musikarten aus mehreren Kontinenten. Daneben Elisabeth Holmertz, eine in Skandinavien seit den 90ern renommierte Sopranistin, bewandert in Alter und Neuer Musik. Ferner Kouame Sereba, ein Sänger und Multiinstrumentalist, der im Alter von zehn Jahren seine Heimat Elfenbeinküste verließ, in vielen west- und nordafrikanischen Ländern lebte und wirkte, schon in Hollywood-Filmen sang und nun Norwegen sein Zuhause nennt. Eine weitere Säule der Gruppe ist Nils Økland, ein Meister der norwegischen Hardanger-Fiedel. Nicht zuletzt der aus Sevilla stammende Flöten- und Lautenspieler Jesús Fernández Baena.

Schon der Name Oriental Winds of Baroque enthält zwei Begriffe, die seit jeher als Metaphern für verspielte Üppigkeit und sinnliche Opulenz stehen, und wenn man nun liest, dass die fünf Musiker sich auf ihrem gemeinsamen Debüt ebenso an traditionelle und populäre Musik aus Skandinavien, Brasilien oder Tajikistan, sondern auch an Werke von frühmodernen Komponisten wie Diego Ortiz, Tarquinio Merula, Franz Ignaz von Biber oder Claudio Monteverdi heranwagen, dann erwartet man – dabei immer auch das Saxophon im Hinterkopf – eine besondere Art Fusion.

In der Tat hat die Musik etwas Grenzenloses: Ein Duett aus Handperkussion und einem Saxophon, das wie eine Duduk oder Nej eine vorderasiatisch anmutende Melodie anstimmt, bildet den Auftakt, wird aber bald von einer Lautenmelodie ergänzt, die mich als Laien an spanische Barockmusik erinnert. Dass einige Minuten später ein wunderschöner Gesang in der Sprache der in Iran und Tadschikistan lebenden Luren mit spanischem Saitenspiel, Streicherparts auf einer nordischen Fiedel und westafrikanischen Handdrums nicht konterkariert, sondern harmoniert, überrascht dann doch – vorausgesetzt, man wird sich der Heterogenität der Beigaben überhaupt bewusst. Wenn später dann Vocals in einer westafrikanischen Sprache mit orientalischen Flöten und perkussiv bearbeiteten Saiten zusammengehen, lateinischer Soprangesang und spanische Lauten auf ein erneut orientalisierendes Saxophon treffen, fast schrille, sirenenartige Bläser die griechische Äolsharfe nachempfinden oder in einem japanisch betitelten Stück gehauchte Holzbläser wie der Wind – vielleicht der orientalische Wind des Barock – durch kleine Ritzen dringen, dann wundert man sich schon gar nicht mehr über den merkwürdig stimmigen Zusammenklang.

Kenner der Barockmusik bemerken sicher, dass der Verfasser dieser Zeilen keiner der ihren ist, und so könnte ich die Theorie, die dieser interkulturellen Musik zugrundeliegt, die ganz tief an der Wurzel des im Europa des 16. Jahrhunderts populären, aber eben dem Wesen nach nicht rein europäischen Barock ansetzt, ohnehin nur oberflächlich beurteilen. Im Volksmund jedenfalls existiert die Vorstellung, dass westliche und östliche Musik bis zum Ende des Mittelalters eine Art Kontinuität bildeten, dass aber in der Neuzeit und spätestens im Barock eine Art Bruch stattfand und mit der aufkommenden “klassischen” Kunstmusik das alte, traditionelle, tendenziell Volkstümliche hinter sich gelassen wurde, dass aber noch bis zum Modernismus die meisten außereurpäischen Musikarten prägte.

Heute weiß man allerdings, dass viele für die Musik des Barock typische Stilmerkmale, vom Stimmen der Saiten über Aspekte der Tonalität bis hin zu inhaltlichen Motiven das Ergebnis interkultureller Beeinflussung durch Migration, Assimilation oder schlicht Neugier auf Fremdes zustande gekommen waren, und dass die Begrenzungen zwischen europäischer, asiatischer, afrikanischer und selbst in dieser Epoche lateinamerikanischer Musik ebenso durchlässig waren wie die zwischen klassischer und traditioneller, hochkultureller und volkstümlicher Musik. In einem ausführlichen im Booklet abgedruckten Essay erörtern die Musiker einige damit zusammenhängende Fragen. Die Eingängigkeit dieser tiefen, berührenden Musik jedoch macht dieses Projekt zudem zu einem starken Statement gegen allzu beschränkte Kulturbegriffe, die gerade in unserer Zeit Kunst und auch Politik bestimmen. (U.S.)

Label: Simax Classics / Grappa