Das 1998 erschienene “Soft Black Stars” war damals ein Album, auf das man sich einlassen musste. Das ganze zurückliegende Jahrzehnt lang konnte man sich daran gewöhnen, dass Current 93 überwiegend und v.a. auf ihren Longplayern einen gitarrenlastigen Folksound hatten und selbst die getrageneren Stücke einen eindringlichen Schmiss. Hinzu kam, dass die dunklen Folkgenres, mit denen man David Tibet und seine Band entgegen seiner Selbstbeschreibungen assoziierte, immer mehr den Charakter einer eigenständigen Szene bekamen und die damit einhergehende Klischeebildung einsetzte. Das neue Album, dessen Titel einem Thomas Ligotti-Zitat entstammte, lag zu all dem quer.
Anders als heute, nachdem man sich wieder mehr an häufige Stilwechsel gewöhnt hat, konnte “Soft Black Stars”, auch wenn die kurz zuvor erschienene EP “A Gothic Love Song” den Sound des Albums bereits in gebotener Kürze ankündigte, überraschen: Das Gros der Songs basierte auf einem minimalen Gerüst aus von Maja Elliott und Michael Cashmore eingespielten Klavierparts und Tibets Textvortrag, der oft nur ein leicht melodisch eingefärbter Sprechgesang war, der an Downtempo-Reduziertheit die ebenfalls stark rezitativen Stücke der “Of Ruin or Some Blazing Starre” noch um Längen übertraf: “Soft Black Stars” war eine Platte zum Runterkommen und strahlte vom ersten bis zum letzten Ton die Aura einer schwermütigen, aber auch deutlich friedvollen Besinnung aus.
Ähnlich wie die Songs untereinander, die durch wiederkehrende Motive und Stimmungsnuancen zu einer organischen Einheit verwoben schienen, wirkten auch Musik und Texte wie für einander geschaffen und schienen einem kohärenten Stimmungsbild zu entsprechen. Die koboldhafte Exaltiertheit, mit der Tibets Gesang immer mal die Grenzen des Bizarren überschritt, hatte hier keinen Platz, und jedes Drängen, jede Begierlichkeit, die in früheren Arbeiten den eschatologischen Grundtenor mitgeprägt hatten, waren aus den Lyrics und ihrer Darbietung verschwunden, die hier wie wehmütige Bekenntnisse eines Menschen klangen, der seinen Frieden gemacht hat: mit den angsterfüllten religiösen Ahnungen seines früheren Selbst (so in “Moonlight, or Other Dreams, or Other Fields”), mit der Substanzlosigkeit, die Zuneigung im Rahmen subkultureller Klischees annehmen kann (in “A Gothic Love Song”), v.a. aber mit dem immer noch nagenden Verlust nahestehender Menschen (in “Larkspur and Lazarus”, “Mockingbird”, The Signs in the Stars” und dem von besonderer Trauer durchdrungenen “It’s Time, Only Time”, bei dem für kurze Augenblicke die Violine Peter Vastls zu hören ist). Als eine Art Gegenstück zu diesen Bürden der Erinnerung mag man die (romantische) Utopie betrachten, die im Titelsong anklingt: im kindlich-vorsymbolischen Urzustand (“Deliver them from the book / And the letter / And the Word / And let them read the silence”) und in der Hoffnung auf einen Ort, an dem man sich wiedersieht, und an dem die sanften schwarzen Sterne scheinen.
All dies scheint eingetaucht in das Gefühl einer freundlichen Abgeklärtheit und etwas, das sich wie der Wunsch nach Neuerfindung anfühlt. “If I could have one wish / As in the fairy tales / I would unmake my past / And rise like Lazarus / And stand in sunlight / And banish all the dark” heist es in “Larkspur and Lazarus”, “And so I put away / All talk of death’s heads / And a little glimpse is a bloodblossomed force / And all talk of apocalypse” später in “Moonlight”, und auch wenn diese Stellen primär im Kontext der jeweiligen Songs Bedeutung haben, passen sie doch auch zu der Atmosphäre von Besinnung und selbstreflexiver Rückschau, die sich im Kleinen schon seit der “Tamlin”-EP ankündigte, aber hier erstmals zu einer zentralen Eigenschaft wurden. Dass Current 93 sich damals Current Ninety Three schrieben, mag all dies symbolisch unterstreichen, mehr noch, dass Tibet zwar nicht erstmals, aber erstmals im größeren Stil das Artwork mit eigenen Bildern schmückte. Und auch wenn man das als Trivia abtut: Current 93 wurden fortan überwiegend von denjenigen Dark Folk-Fans gehört, die wenig Interesse an einem verengten Szenedasein hatten, später dann vermehrt auch von Hörern mit den unterschiedlichsten Hintergründen.
Folkreferenzen gibt es durchaus, “Antichrist und Barcodes” und “Moonlight” basieren von der Melodie her auf dem Traditional “The Rolling of the Stones”, “Mockingbird” und “The Signs in the Stars” auf “O Willow Waly”, den man aus dem Film The Innocents (1961) kennt. Der Titelsong wiederum, der auch durch ein Antony and the Johnsons-Cover bekannt wurde, adaptiert den Renaissance-Klassiker “Une Jeune Fillette” von Jehan Chardavoine, und im in seiner Abgeklärtheit erschütternden Schlusstrack “Chewing on Shadows” tauchen dann einige traditionelle Instrumente aus dem dronigen Sirup auf.
Auf der im letzten Jahr von Michael Lawrence alias The Bricoleur klanglich aufgearbeiteten Neuauflage sind zwei in der Zwischenzeit entstandene Versionen dieses Songs angehängt, und man kann dieses Album, das Current 93 vielleicht von ihrer nachdenklichsten Seite und die rezitativen Vocals noch in voller Frische zeigt, immer noch jedem empfehlen, der die Band kennenlernen will. (U.S.)
Label: The Spheres