Ganze sechs Jahre ist es nun her, dass Sam Shalabi sein Großprojekt Land of Kush zuletzt zum Leben erweckte. Damals, in den Nachwehen des kurzen arabischen Frühlings, ging es darum, mit einem Ensemble von über zwanzig MusikerInnen und einer Tonne gesampleter Sounds ein sinnenforderndes und ungeschminktes Porträt des “Big Mango” zu zeichnen, wie die Einheimischen die ägyptische Hauptstadt nennen. “Sand Enigma” steht erneut in vielfachen Bezügen zum Ursprungsland des in Alexandria geborenen Bandleaders, doch scheinen diese weitaus offener, unklarer – enigmatischer – zu sein.
“Sand Enigma” ist ein ungemein intensives Werk geworden, dennoch wundert es, wie sehr die verschiedenen Komponenten – die Einflüsse von Jazz, Rock, Noise, westlicher und nordafrikanischer Folkmusik, die verschiedenen Sängerinnen, ein Instrumentarium, das Saxophon, Elektronik, Perkussion, Santur, Klarinette, Drumkit, Harfe und einiges mehr beinhaltet, dazu die doch oft sehr wechselhafte Struktur der Kompositionen – miteinander harmonieren. Dabei hat man sich sicher nicht an erster Stelle darum bemüht, die Musik besonders eingängig zu gestalten: Der balladeske arabische Gesang Nadah El Shazlys, der in “Aha” mit kristallinem Saitenspiel und lieblichen Bläsern in ein funkiges Inferno mündet, müsste eigentlich kontrastierend wirken, ebenso das hochtönende Feedback, das sich wie eine Rostschicht über die entspannten Handtrommeln und die melodische Klarinette in “Domyat 1331″ legt und fast das ganze Lied über anhält. Und doch gibt es in der Musik etwas fließendes, dass all dies in ein gemeisames Flussbett lenkt und miteinander versöhnt.
Jeder Song verarbeitet seine ganz eigenen Ideen, sprudelt geradezu über davon, und doch strahlen die Songs trotz ihrer Exzentrik eine solide Ernsthaftigkeit aus. “Safe Space” ist – man könnte sagen, dem Titel entsprechend – das smootheste und aufgeräumteste Stück des Albums, und doch hat der überraschende japanische Gesang, begleitet von der tiefen Melancholie einer ägyptischen Klarinette, einen sehr speziellen, auch der Ungewohntheit geschuldeten Reiz. Dagegen ist “Broken Maqams”, das sich auf ein arabisches Tonleitersystem bezieht, ausgesprochen ekstatisch, besonders wenn kleines perkussives Gefrickel wie eine Welle am Ohr vorbeirollt. Im Brigadoon-Gesang von “Recuerdo” fühlt man sich dagegen in die verwunschene Märchenwelt eines englischen Musicals versetzt – was immer hier für ein Ort entworfen wird, ein paar Tracks später wird er mit noisigem Saitengekratze und entfesseltem Saxophonspiel zum kochen gebracht.
Viele Stücke sind in sich wechselhaft, episodisch aufgebaut und in ihren Konturen schwer greifbar, und überhaupt wirkt die Musik streckenweise wie eine Rundreise durch eine Welt, die weder mit dem realen Ägypten, noch mit dem im Sudan gelegenen Hochland Kush, noch mit irgendeinem anderen Ort identisch ist, und doch untrennbar mit dieser Topografie verbunden. Dies und die eigene Logik der musikalischen Verknüpfung machen “Sand Enigma” zu einem besonders reichhaltigen Erlebnis. (U.S.)
Label: Constellation Records