1986 veröffentlichten die Karl-Marx-Städter Claus Löser und Florian Merkel alias Die Gehirne ihre MC “Ihre Großen Erfolge 1983-85″ mit insgesamt 34 oft sehr kurzen, kratzig-rumpelnden, wütenden, morbiden, schalkhaft-skurrilen Art Punk-Hits aus den zurückliegenden Jahren, aufgenommen im Kinderzimmer und herausgebracht in 35er Auflage. Dies diente damals mehr dem Austausch mit anderen Musikern, doch unbedeutend waren die beiden, an deren Aufnahmen und Auftritten immer wieder Gastmusiker teilnahmen, keineswegs, und so gaben sie der Stadt, die heute (wieder) Chemnitz heißt, ihren etwas dicker gedruckten Ort auf der Underground-Karte der DDR.
Den musikalischen Ort der Gehirne genau zu bestimmen, ist dabei allerdings nicht so einfach, wie der eher diffuse Begiff Art Punk implizieren mag. Bei einer ganzen Reihe der etwas derberen Punksongs kann man sich ein Präfix wie “Post” getrost sparen, der rustikale Lofi-Minimalismus steht dann auch gerade Stücken wie dem verstörenden Halbminüter “Amok in Watte” und dem wohl auf eine historische Schlacht anspielenden “Das Eis des Peipussees” besonders gut zu Gesicht. Über die ganze Sammlung hinweg würden solche Songs wohl etwas ermüden, aber dazu lassen die beiden es schon aufgrund ihre Lust am Experimentieren erst gar nicht kommen.
Experimentiert wird u.a. mit schwindelerregenden Takten wie in “Transib”, “Mänadentanz” oder “Vierundzwanzig Zentimeter”. Auch hatten die Gehirne damals eine Schwäche für (voll-)trunkene, surreale Sounds (“Oral”, “Hirnsäge”), die wie in “Entzug” recht nah an einen Industrial reichen konnten, wie man ihn später von Genetic Transmission und ähnlichen Künstlern her kennenlernen durfte. Seltsame, aber keineswegs widersinnige Titel wie “Die Neurose des Bandwurmes” versahen die Aura der Band mit aufgeklebten Fragezeichnen, die diese wie eine dadaistische Kollage anmuten ließen, und vieles ist in unterschiedlichem Maß und auf diverse Art Zitat und Referenzen: “Motorkopf”, “The House of Rising Sun”, “Weltende”, “Todesfugen-Fragment”, “Die Maßnahmen”. lauten einige der Titel, hinter denen sich manches verbirgt, das die Musik wie die Spitze eines viel tiefer reichenden Eisbergs aussehen lässt..
Eine ihrer besonderen Stärken sind übrigens großartige Melodien, und in dem Zusammenhang ist “Traum von Arkadien” mein Höhepunkt der Sammlung, auf dem Fuß gefolgt vom an die Substanz gehende Gesang in “Ich schenk Dir”, das auf einem Text des Dichters Dominik Hollmann basiert und an allem rührt. Ende Januar erscheint die Sammlung, die neben den 3Musketieren eine der Wiederentdeckungen deutscher Punkexperimente aus dieser Zeit ist, neu als LP mit einer Auswahl an Stücken sowie als Download mit der kompletten Trackliste. (U.S.)