Weibliche Genitalverstümmelung hat in einigen Ländern z.B. Ostafrikas, aber auch des Mittleren Ostens und Südostasiens eine lange Tradition, die historisch weit hinter den Siegeszug monotheistischer Religionen zurückreicht und trotzdem vielerorts noch heute praktiziert wird. Seit langem taucht das Thema immer wieder auch in westlichen Medien auf, läuft dabei aber stets Gefahr, zwischen ideologische Fronten zu geraten. Während manche das Thema für einen Kulturkampf mit nur notdürftig kaschierten xenophoben Untertönen zu instrumentalisieren suchen, schrecken andere aus vermeintlichem Respekt vor anderen Kulturen, oft aber auch aus Sorge um die eigenen Reputation, vor dem Thema zurück.
Umso erfreulicher, dass sich nun zwei internationale Organisationen dem Thema mit einer interessanten Projektserie angenommen haben. Vor einigen Monaten stellte die Londoner Organisation FORWARD – Foundation for Women’s Health Research and Development – das Buch These Are Our Friends zusammen, auf dem dreißig britische Autorinnen, z.T. mit Bezug zu Ländern Afrikas und des Nahen Ostens, meist lyrische Texte beisteuerten, die das Thema aus der Perspektive Betroffener angingen. Als Fortsetzung hat die in Dubai gegründete Musikplattform Tse Tse Fly Middle East nun neunzehn Musikerinnen aus Ländern wie Ägypten, Irak, Iran, Libanon, Serbien oder der Türkei gebeten, eine Auswahl der Texte mit experimentellen Tonspuren für die vorliegende Compilation “These Are Our Friends Too” zu untermalen. Gelesen wurden die Texte wiederum von Künstlerinnen aus dem FORWARD-Umfeld.
Gleichwohl die lyrischen Texte immer den Blick der Betroffenen im Fokus haben, gehen sie den Themenkomplex doch mit ganz unterschiedlicher Motivation an. Es gibt eindringliche, fast flehende Apelle an ein Verständnis für Andersartigkeit, an die Bereitschaft, in der Frau den Menschen, nicht das Objekt zu sehen, auch Apelle an die internationale Öffentlichkeit, die Opfer dieser Praktiken nicht zu vergessen. Andere geben den psychologischen Verdinglichungsprozess auf beklemmende Weise aus einer imaginiert männlichen Perspektive wieder – beklemmend v.a. deshalb, weil jede Verdrängungs- und Schönfärbungs-Rhetorik umgangen und die Ausbeutungsmechanismen mit einer unnatürlichen Offenheit betont werden. Auch wird sich dem Beschneidungsprozess in kalt-sachlicher Beschreibung gewidmet. Ein Großteil der Beiträge jedoch lässt die Psychologie der verstümmelten Mädchen und Frauen zu Wort kommen, protokollieren von Angst geprägte Tagesabläufe und illustrieren so die eingeübten Verhaltensweisen, die auch für die Beschneidungspraktiken ein zentraler Nährboden sind. Oder sie beschreiben das Einüben eines maskenhaften “game face” oder stellen in gekonnt entworfenen Bildern zwei Leben – das einer Verstümmelten und das einer anderen, von diesem Los verschonten Frau – gegenüber, wobei letzteres wie das mögliche, ungelebte Leben anmutet.
Die Komponistinnen – von denen unsern Lesern zumindest die in Istanbul geborene Berliner Ambient-Musikerin Hüma Utku bekannt sein sollte – gehen meist sehr subtil vor und lassen den abgeklärten oder emotionalisierten Textvorträgen den zentralen Platz, ganz gleich ob sie mit atonalem Feedback, hörspielartigen Soundkollagen oder auf Streichern, Klarinetten oder anderen akustischen Quellen basierenden Drones zuwerke gehen. Manchmal sind es gerade die sanften Klavierakkorde oder vorderasiatische Saiteninstrumente, die die Heftigkeit des Inhalts besonders deutlich akzentuieren – letzteres ist ganz nebenbei auch ein Weg, “Tradition” nicht in Bausch und Bogen zu verdammen und gleichsam kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Samples von Durchsagen, Scherengeschnipsel oder sich kreuzende Klingen schaffen eine bedrückende Atmosphäre, Spieluhren und andere Reminiszenzen an das junge Alter, in denen die Operationen meist erfolgen, stehen dem in nichts nach.
“These Are Our Freinds Too” ist eine erschütternde, in ihrem Engagement aber auch hoffnungsvolle und in jedem Fall notwendige Arbeit, für die allen Beteiligten ein großes Lob zusteht. Der Erlös der Compilation kommt der Arbeit von FORWARD zu.
Label: Forward / Tse Tse Fly Middle East