Christophe Clébard ist ein Fantom. Wenige wissen, wo er sich zur Zeit aufhält, Gerüchten zufolge soll es irgendwo in Belgien sein, wo er nach einem längeren Aufenthalt in Vancouver, Kanada, gesehen wurde. Er stammt aus Italien, und Christophe Clébard ist lediglich ein Pseudonym, eine Maske, die im Rollenspiel seiner Karriere zwischen Synth-Punk, Noise, Disco und sonstigen musikalischen Vehikeln irgendwann Projektnamen wie Onefuckone, Tucano oder Cobra Jaune abgelöst hat. Auch mit dem aktuellen Namen soll bald Schluss sein, genau wie es immer wieder mit dem vielen tragischen Liebesbeziehungen geschieht, die er in seinen dunklen Clubsongs in monotonem Französisch besingt. Bevor dies aber soweit ist, gibt es das vorliegende Album, auf dem er kurz vor der nächsten Weggabelung noch einmal alle Register zieht.
Auch der Albumtitel “SSS” ist ein seltsames Enigma, mehr noch das lärmende Gebruzzel und die wie durch eine dicke Decke geschmetterten Shouts, die beim Opener “La Vierge George” schon das Gefühl entstehen lassen, dass hier kein gewöhnliches Noisetape im Deck rotiert. Fast an Powernoise erinnert das verzweifelte Brüllen, dass hier noch fast versteckt zu hören ist und sich deutlicher in “SpeedSodomieSida” fortsetzt, wohl so etwas wie der Titelsong, wo zu schnellen, monotonen Loops nur der Titel wiederholt wird. Allerdings fängt dieser immer bei der zweiten Silbe an, die erste wird wie ein Holzbein nachgezogen, und erst wenn sich der verrauschte Sound lichtet, fällt die resignative Erschöpftheit auf, die die vordergründig kraftvollen Schreie infiziert hat. “SSS” lebt von kleinen, aber signifikanten Ungereimtheiten.
Das beinahe demonstrativ nach hinten gemischte Brüllen, Jaulen und Knurren der Stimme ist von seinen früheren Aufnahmen her nur allzu bekannt, und nicht selten mochte man das etwas unausgegoren finden im Kontrast zu den immer hypnotischen und oft wehmütig-morbiden Synthieparts, die an ein dreißig Jahre zu spät geborenes Fad Gadget-Pendant denken ließen. Hier scheint es fast, als seien all diese Komponenten noch viel harmonischer miteinander verknüpft. Hat man sich erst einmal auf lautes Gebretter eingestellt, überrascht “Dommage” mit wabernden, harmoniumartigen Dronesounds und einem berührenden, von Eispickeltakten zerhackten französischen Wavegesang. Allein die pathetisch phrasierten Versenden, bei denen man sofort merkt, dass er weiß was er tut, sind preisverdächtig. Mein erster Gedanke bei dem veritablen Trockeneis-Clubhit war, dass Jürgen Weber von Novy Svet ihn in den frühen Zweitausendern ziemlich sicher geliebt hätte – dieser sagte einmal, seine Songs handelten von der Liebe und dem Leben und der Angst, beides zu verlieren. Meinem übriggebliebenen Französisch zufolge trifft so etwas auch auf Christophe Clébard zu, der mit “Quoi” gleich mit einem weiteren Hit nachschlägt, der an Suicide auf Benzodiazepinen (gemeint ist die Band) erinnert. Auf der zweiten Seite geht die Reise weiter durch Hallräume kreisender Verzerrtheit, in denen man weibliche Stimmen zu hören glaubt; durch schwüle Kellergewölbe, in denen ein schalkhafter Groove pulsiert; durch dadaistische Settings, durch die abgehackte Wortfetzen und launige Computerspielsounds tänzeln, bis alles von den trillernden Flöten in “Robert” seinen Ausklang findet.
“SSS” ist ein Album, das keineswegs in der Obskurität reiner Liebhabernischen verschwinden sollte, denn es hat bei aller Exzentrik das Potential, ganz unterschiedliche Leute zu erreichen, und das nicht nur aufgrund des kreative Genremixes, sondern einzig durch sein mitreisendes Charisma. Dennoch empfehle ich noch vor den Formaten auf Labels wie Maison de Reitraite, Blue Note und Swallowing Helmets die Tape-Veröffentlichung auf Commando Vanessa mit dem gewohnt liebevollen Artwork. (U.S.)
Label: Commando Vanessa