MIRCO MAGNANI / LUKASZ TRZCINSKI: Lumiraum

Vielleicht gelingen Versuche, den gemeinsamen Kern verschiedener Schöpfungsmythen auszuloten, am besten dann, wenn sie in einem künstlerischen Medium wie der Musik erfolgen und dabei eine gewisse Abstraktion wahren. Die beiden Sound Artists Mirco Magnani und Lukasz Trzcinski haben ihre gemeinsame EP “Lumiraum” genannt, wobei laut Liner Notes sowohl Raum als auch AUM als Suffix verstanden werden können – das Licht oder Lumen als zündende, schöpferische Idee, die sich im Raum als Materie ausbreitet, korelliert hier also mit der Gegenwart des Absoluten, die in indischen Weisheitslehren durch die mantrische Silbe Om oder AUM evoziert wird.

Den schöpferischen Kontext bekräftigen noch mehr die Tracktitel, vorausgesetzt man ist in Mythen firm oder schlägt sie nach. In ihnen tauchen verschiedene Schöpfergottheiten auf wie der indische Hiranyagarbh, die sumerische Göttin Nammu und der finstere, aber nichtsdestoweniger kosmogonische Tezcatlipoca des alten Mexiko, ein weiterer Track ist nach dem Genesis-Abschnitt der jüdischen Tora benannt.

Trotz dieses Überbaus ist die Musik auf “Lumiraum” voll emotionaler Bildhaftigkeit und wirkt auch ohne entsprechendes Wissen an vielen Stellen wie erste Lichtstrahlen, die durch die frühmorgendliche Dunkelheit dringen und die Welt erhellen. Was die vielfach bearbeitete improvisierte Elektronik der beiden durchdringt ist ein dezenter, an krautige Psychedelik erinnernder Ethno-Touch, der allerdings nie die Grenze zum Beschaulichen überschreitent. Im Hiranyagarbh gewidmeten Opener erscheint dieser in Form von asiatisch anmutenden Dröhnsounds, in die sich neben melodischem Flötenspiel und einer Brise Orgelpathos auch merkwürdige, für Momente ironisch wirkende Klänge mischen, die an elektrifizierte (und mit der Zeit immer rhythmischere) Vögel erinnern – sicher keine willkürliche Wahl, denn das Symbol dieses Gottes ist ein goldenes Ei. Schöpfung wird hier durchaus auch als bizarrer Akt inszeniert, und die plastischen, immer verzerrteren Rhythmen als Kontrast zu hochtönenden Holzbläsern lassen die Gegensätze aufeinandertreffen, ohne die es einem Blake’schen Dämon entsprechend keine Progression gibt. Diese Gegensätzlichkeiten wissen die beiden in immer wieder neuen Farben auszumalen. In “Bereshit” erklingt über unruhigem Flattern und bedrohlichem Gedresche ein wichtiges Instrument er jüdischen Folklore – die Klarinette – in entspannter Nonchalance. Im grpßräumischen “Buriash” zeichnet ein melancholisches Saxophon sanfte Striche über dramatichen Synthies und hin und her stampfender Perkussion. Nirgendwo fließen die Gegensätze – Bläser, Sitar, Rückwärtspassagen in verschiedenen Gang- und Tonarten – so sehr in einem Sirup zusammen wie im kurzen Interludium “Nammu”.

Gerade an solchen Stellen klingt die Musik so scheinbar homogen, dass man einen großen Teil ihrer Inhalte glatt überhören könnte. Die Inhalte, der integrale, vergleichende Konnex aus verchiedenen Schöpfungsgeschichten, bleibt angedeutet, und freilich könnte man die Musik auch ohne sie genießen. Behält man sie dabei im Hintergrund, kann beides nur gewinnen.

Label: Undogmatisch