PASCAL COMELADE / MARC HURTADO: Larme Secrete

Dass Pascal Comelade und Marc Hurtado in den letzten vierzig Jahren nie zusammen auf der Bühne oder im Studio gewesen sind, überrascht fast, denn die beiden Franzosen sind seit den späten 70ern in unterschiedlichen Konstellationen aktiv und interessanten Kollaborationen gegenüber keineswegs verschlossen. Hurtado, der mit seinem Duo Ètant Donnés im Grunde zu den Pionieren es experimentellen Industrial zählt und mit Leuten wie Lydia Lunch, Michael Gira, Alan Vega und Genesis P-Orridge arbeitete, ist in unseren Breiten sicher der bekanntere. Comelade, gebürtig aus dem okzitanischen Montpellier, spielt solo (anfangs unter dem Namen Fluence) oder mit Bands wie Bel Canto Orchestra und Fall of Saigon elektronische Musik und ist Spezialist im Umfunktionieren quietschiger Spielzeuginstrumente. Robert Wyatt, Jac Berrocal, Jaki Liebezeit und PJ Harvey sind nur einige Musiker, mit denen er zusammen aufnahm.

Auf „Larme Secrete“, der heimlichen Träne, finden die beiden erstmals zusammen und erschaffen mit Stimme, Synthies, Loops, Gitarre, Piano und einigem mehr eine Musik, die mit Begriffen wie psychedelischem Kammerpostpunk nur unzureichend beschrieben wäre. Das Songwriting und der Gesang stammt komplett von Hurtado, meist in Form geheimnisvollen Flüsterns, das oft recht grummelig und entsprechend furchteinflößend ausfällt.

Im eröffnenden „Ecler“ versteckt sich dieses zunächst im Nebel eines düster treibenden Sounds zwischen Stereolab und Moon Duo, tritt aber mehrfach abrupt in Form kurzer Brüll- und Kreischattacken hervor. Während die Stimme sich im kernigen Midtempo von „Infini“ hinter mystischen Glöckchen zurückhält, tritt sie im schrägen Loop von „Eté“ wieder als atemloses Röcheln in den Vordergrund, gibt der Carnival of Souls-artigen Jahrmarktsorgel einen zwiespältigen Touch und bringt eine verquere Ordnung in das Chaos der Komponenten. Die meisten Songs bleiben, wenn sie erst mal über die Anfangsakkorde hinausgekommen sind, einer hypnotischen Statik verhaftet – was jedoch jeder Eindimensionalität entgegen wirkt, ist die ganz eigene Charakteristik jedes Tracks gerade in der zweiten Hälfte. In „Or“ bereitet eine nette Klavieretüde den Boden für Hutados gehauchtes Krächzen. In „Cri“ beklagen (oder feiern) orientalisch anmutende Synthiemelodien den Furor des in den Lyrics besungenen Vergessens. „Larme“ markiert mit schwerem, martialisch-perkussivem Postpunk den kathartischen Moment. In „Spirale“ wird die ganze Szenerie von aufwühlenden Streichern verweht, und man könnte meinen, der ganze Widerstreit zwischen Aufruhr und Ordnung, der seine Auflösung in der Synthese immer wieder andeutet, sei nur der Traum in einem Traum gewesen.

Wie sagt man bei gelungenen Kollaborationen, mit denen kaum jemand gerechnet hätte? Sinngemäß auf ein Neues, eine Floskel, vor der man hier nicht zurückschrecken sollte. (U.S.)

Label: Klanggalerie