Zu den interessantesten Versuchen, einen Ort im künstlerischen Medium, sei es Bild, Text oder Klang, erfahrbar zu machen, zählen jene, die den Blick auf eher untypische Aspekte lenken. Ein solcher Fokus richtet sich an ein aktives Publikum, das die präsentierten Details mit dem vorhandenen Wissen zu einem kaum festschreibbaren, hypothetischen Rahmen synthetisiert, und er umschifft ganz nebenbei eine Menge Klischees. Das ganz seiner Heimatstadt Teheran gewidmete neue Album von Komponist und Producer Siavash Amini befasst sich mit Details des Ortes, die zunächst wenig zu den Projektionen passen, die der Medienkonsument abrufen kann, seien diese den Nachrichten oder den Resten eines verklärenden Orientalismus geschuldet. Amini, den Leser unserer Seiten sicher von seiner Zusammenarbeit mit 9T Antiope kennen, ist zudem ein leidenschaftlicher Kollaborateur, und so ist „The Mimesis of Nothingness“ erneut eine Gemeinschaftsarbeit, diesmal mit der ebenfalls in Teheran lebenden Fotografin Nooshin Shafiee.
Amini und Shafiee trafen sich vor einigen Jahren zum ersten Mal in der Emkan Gallery im mit diversen Art Spaces gespickten Zentrum der Stadt. Sie stellte dort gerade eine Reihe digitaler Fotografien aus, während Amini im Raum nebenan Soundevents organisierte. Aufgrund ihrer gemeinsamen Ansätze – ein Sinn für Raum, fürs Fragmentarische und Experimentelle – ließ die Idee zu einer Kollaboration nicht lange auf sich warten, und so wurde der Grundstein zu „A Mimesis of Nothingness“ gelegt: Die Stadt sollte sich quasi selbst porträtieren mit wie zufällig aufgeschnappten “nichtigen” Objekten und Soundschnipseln, aber auch mit der diffusen Atmosphäre, die sie zu erzeugen weiß. Die beiden Künstler sollten dabei mehr wie Medien fungieren, durch deren Ohren und Augen der Ort spricht. Dass Teheran dabei weder als romantischer Sehnsuchtsort, noch als Schauplatz weltpolitischer Konflikte erscheint, mag mit einigen westlichen Vorstellungen brechen, den Nerv der Einheimischen trifft das aber sicher umso mehr.
„A Mimesis of Nothingness“ führt sein Publikum in ein Teheran, durch dessen Häuserschluchten und Alleen, über dessen weite Plätze, Parks, Fabrikgelände und Ruinen ein eisiger Wind weht, ein Wind, der Hagelklötze und Staub und Erinnerungen transportiert und all dies sprunghaft in die unterschiedlichsten Richtungen weht. In den Fotos mag die kühldunkle Atmosphäre impliziert sein, im langsam heranschleichenden Dark Ambient-Sound Aminis ist sie mehr als deutlich im gesampleten Wind und Regen zu hören, und doch scheint dies und das Echo undefinierbaren Donnerns und Detonierens eher das Innenleben des Ortes und seiner Bewohner wiederzugeben. Auf den Bildern sind Objekte zu sehen, die Kontext und Charakter erst beim genaueren Hinsehen implizieren: Zeltplanen, Vorhänge und andere ausladende Textilien kehren leitmotivisch wieder in den dunkel ausgeleuchteten Tableaus, hängen auf Wäscheleinen oder bedecken Treppen, Möbel und manchmal auch den ganzen Schauplatz, und alles, was unter ihrem Stoff verdeckt wird, wirkt außer Betrieb, im Standby, und jede direkte menschliche Präsenz würde deplatziert wirken.
Die Musik und die Bilder arbeiten (auch) immer wieder sehr stark mit dem, was sie gerade nicht präsentieren. Immer gibt es Aussichten auf ein diffuses Dahinter, auf Baum- oder Häusergruppen, diffuse Übergänge auf weitere Räume sind zu sehen. Wohin führen diese Öffnungen, Wege, freien Flächen, was ist oder passiert dahinter oder daneben? Die Frage nach dem größeren Rahmen des nur ausgeschnittenen Raumes ist so evident wie ein eingeblendeter Schriftzug oder eine Stimme aus dem Off. Auch bei den kreisenden, rauschenden, rumpelnden Bewegungen der elegant gestalteten Musik kommt immer wieder die Frage nach dem Was, dem Woher und dem Wohin auf, doch geheimnisvoll ist das Szenario nicht nur wegen des fragmentarischen Charakters und der nur gelegentlich ortbaren Sounds, sondern auch wegen des immer wieder Spannung überzeugenden Wechsels von melancholischen und harschen, gewaltsamen Passagen, die meist recht plötzlich in Form bohrender Loops oder eisiger Lärmlawinen einbrechen.
Die Streicherparts im unromantisch betitelten “Moonless Garden” halten die schönsten, aber auch die desolatesten Momente des Albums bereit, und letztlich sind es doch die Anzeichen des Lebens, die die Szenerie auflockern: zeternde Vögel, deren Krächzen keineswegs betulich wirkt, Schritte, die von einer tiefernsten Klangfläche begleitet eine Treppe herauf oder herunter gehen, gegen Ende sogar menschliche Stimmen, die den Hörer sofort, trotz Sprachbarriere, in einen anderen kommunikativen Modus bringen.
An der meist nur bedingt fassbaren Stimmung, die selten mit derart klaren und eindringlichen Mitteln hervorgerufen wird wie hier, ändert auch das nichts – auf „A Mimesis of Nothingness“ fühlt man sich an einem unbekannten Ort ausgesetzt, den man über das zufällig vorgefundene erkundet. Wenn es so etwas wie ein Wesen eines Ortes gibt, so kann man dieses vermutlich so besser erfahren, als durch ein vorgefertigtes Set an Dingen, „die man gesehen haben muss“. (U.S.)
Label: Hallow Ground