Nostalgiker der frühen Synthiekünste, die Kraftwerk und all jene schätzten, die in den 70er und frühen 80er Jahren eine der nachhaltigsten musikalischen Revolutionen einleiteten, mussten über die Jahre sehr leiden: An der Schlagerkomponente, die nach dem Abebben des New Romantic schnell Einzug in die elektronische Popmusik hielt, an den zahlreichen Retrophänomenen, die sich aller Beteuerungen zum Trotz doch meist den Verhunzungen als den echten Grundlagen dieser Musik zuwandten, an den längeren Durststrecken, in denen sich wenig auffindbares überhaupt ereignete, daran, dass Ambient einen auch nicht wirklich entschädigt. Ich hoffe, ein paar dieser Leute lesen den Namen des Schweden Niels Gordon, der in seiner Heimat bereits den Support für OMD übernahm und mit allerlei analogem Gerät und Effekten melancholische Klangwelten erzeugt, die direkt aus einer futuristisch gemeinten Doku gefallen sein könnten, die irgendwann um 1980 zu einem naturwissenschaftlichen Thema gedreht wurde. Im internationalen Musikkosmos harrt er noch seiner Entdeckung.
Gordon trat vor ein paar Jahren auf die Bühne der elektronischen Musik und brachte 2016 eine EP und ein Jahr drauf ein Tapealbum heraus. Seine gerade fertiggestellte LP knüpft mit überwiegend neuen Stücken an den Stil dieser Arbeiten an. Die acht Tracks sind ohne die Hilfe von Audio-Software live entstanden und zeichnen eine imaginäre Reise von der Großstadt in die schwedische Wildnis nach, die sich irgendwann in den 70ern ereignet hatte. Verbummelte Retrosounds eröffnen den Longplayer und tauchen den Opener “Im Park” in blendende Sonnenstrahlen, eine durchaus aufgeweckte Rhythmik dreht sich eine ganze Weise im Kreis, bis deutlichere Takte Bewegung ins Spiel bringen. Viele der acht Stücke (z.B. “Inner Grounds”, das mit etwas Fantasie auch eine Klaviersonate werden könnte, und der fantastische Ohrwurm “Woodlands” auf der zweiten Seite) erinnern in ihrer entrückten Melodik, die gekonnt mit den Effekten einer dezent eingesetzten Statik spielen, und den melancholisch hochtönenden Synthies, an die Zeit, als die – heute könnte man sagen nerdige – Kraftwerk-Phase sich gerade mit dem Dandytum von Visage zu überlappen begann. Die dynamische Taktung, die nie auch nur in die Nähe von Fancy’eskem Foxtrott kommt, passt (z.B. in “Voyage dans la Nuit”) sehr gut zu der Vorstellung einer nächtlichen Fahrt übers titelgebende Land.
Es ist sicher nicht nur dem rein instrumentalen Grundzug zu danken, dass einige der Songs etwas tieferes implizieren als den Score zu anheimelnden Landschaften, die in wechselnder Geschwindigkeit am Fenster vorbeiziehen. Das lichtdurchflutete und von Spannungsmomenten durchzogene “Outer Grounds” oder das besinnliche, von hellen Synthieakzenten getaktete “Ohrnacht (am See)” lassen ganz eigene, übernatürliche Landschaften entstehen, wie es im Schnitt eher Ambient vermag. “Helio” mit seinen barocken Hochtönern ist vielleicht der heimliche Höhepunkt des Albums, und lässt ganz subtil die Vorstellung von etwas Urzeitlichem, Kosmogonischem aufblitzen, das für Momente an die Kompositionen Pauline Anna Stroms denken lässt. Bei all dem kann man nur das Fazit ziehen, dass Gordons “Land” für viele die Synthie-Entdeckung des Jahres sein dürfte. (J.G.)
Label: Lamour Records