Asalif, der zehnjährige Protagonist in Mo Scarpellis Film Anbessa,lebt mit seiner Mutter in einem Außenbezirk der äthiopischen Hautstadt Addis Abeba. In einer Zeit, in der der Fortschritt und die unsichtbare Hand des Wettbewerbs immer stärker alle Lebensbereiche durchdringen, erfährt Asalif erstmals, was es heißt, die Bindung an eine traditionelle Lebensweise aufzugeben und sich den zum Zeil desillusionierenden Herausforderungen des modernen Lebens in einem Dritte Welt-Land zu stellen.
Vom passiven Bewohner eines von Nestwärme und Verlässlichkeit geprägten Zuhauses wird er zum Anbessa, zum Löwen, der sich ein Leben in einer indifferenten Welt immer wieder neu erkämpft. Eine der großen Leistungen des Coming of Age-Dramas ist es, niemals in eine der verführerischen Fallen – der wehmütig-regressiven Nostalgie und des allzu optimistischen Machbarkeitspathos – zu treten. Der gebührende Raum für Hoffnung hat trotzdem keine klaustrophobischen Dimensionen.
Mit dem Musiker Erik K. Skodvin, bekannt von Projekten wie Svarte Greiner, hat man einen Komponisten engagiert, der bislang erst einmal an einem Filmscore mitgewirkt hat. Für den Soundtrack zu Birgitte Stæremoses Thriller Darling (2017) arbeitete er noch mit dem Kollegen Raúl Pastor Medall zusammen. Sounds von synästhetischer Qualität, mit denen man ganz automatisch die Augen schult, waren aber schon immer seine Stärke, und so entsteht durch die Vermengung seiner Musik mit den bewegten Bildern ein Gewebe, dessen Einheit unzerstörbar wirkt.
In der vorliegenden Tonkonserve sind Sounds aus dem Film eingenaut, die der Platte einen stellenweise fast hörspielartigen Charakter verleihen. Manhöer Gesprächsfetzen aus dem Film und das gedankenverlorene Singen der Hauptfigur, Straßengeräusche, hantierende Hände und das Zappen zwischen TV- oder Radioprogrammen haben ihren Platz, und für ein besonders stimmungsvolles und symbolträchtiges Kolorit sorgen Wind und Wetter, Zikaden, Vögel, Hyänen und andere Laute der Natur. In letztere Sounds sind die Kompositionen Skodvins meist sehr dezent eingebaut, melancholisch eingefärbte Ambientflächen, die zum Gegenzoom ausholen und all die angedeuteten Ereignisse dem Anschein nach ins Universelle transzendieren.
In den “geselligeren”, urbanen Szenerien gestaltet sich die Musik meist dynamischer, was einen spielerischen, aber auch einen dramatischen Zug annehmen kann. Schnell kristallisiert sich ein folkig angehauchter, aus westlicher Perspektive “tribaler” Grundzug heraus: Auf einer Basis elektroakustischer Klangerzeugung sind Gitarren, Flöten, Trompeten und diverse Handdrums zu hören, die Skodvin zusammen mit Aaron Moore (Volcano The Bear) einspielt.
Hat man den Film bereits gesehen, entstehen die viele Szenen so neu vor dem geistigen Auge. Aufgrund seiner Eindringlichkeit und der szenischen Qualitäten entwirft die Musik aber auch ohne den Film ein ganz eigenes lohnendes Narrativ.
Label: Miasmah / Morr Music