ERYCK ABECASSIS: Siamoises

Sein drittes Soloalbum hat der französische Komponist und Gitarrist Eryck Abecassis nach den Siamoises, den siamesischen Zwillingen benannt, eine Namenswahl, die man nur spekulativ in Zusammenhang mit der untrennbar wirkenden Verknüpfung seines modularen Synthesizers mit einem doppelhalsigen Hybriden aus E-Bass und Gitarre bringen kann. Auch letzterer allein bietet sich als Hintergrund an.

Wenn auf “Siamoises” aber etwas an siamesische Zwillinge erinnern könnte, dann ist es der durchgehend hörbare Drang nach Ausbruch aus festen Formen oder die Absage an über den Moment hinaus greifbare Strukturen überhaupt. Mit ihren verspielten Mustern auf der Double Neck, dem zweckentfremdenden Schaben an den Saiten, dem metallenen Rattern und dem perkussiven Bimmeln und Pochen ist die Musik hier weit entfernt vom Klischee zerfließlicher Sounds – dennoch ist dieses ständige in- und auseinanderfließen von klanglichen Mustern eine der wesentlichen Eigenschaften der neun Tracks.

In “One Blood Two Spirits”, dessen perkussiver Auftakt keinen Vorlauf gewährt, evoziert das unstete Tempo und die wechselhafte Lautstärke Spannung, die sich durch mehrere z.T. plötzliche Brüche, die das Stück in rhythmische, dröhnende und andere Episoden unterteilen, noch gesteigert wird. Im kurzen “The Deependancy” scheinen hölzerne Objekte vor einer Kulisse aus Saitengefrickel gegeneinander zu schlagen, und auch hier hat man das Gefühl, dass Sound und Motivlage sich stets neu erfinden – die Musike rinnert an eine improvisierte Wanderung durch unbekanntes Gebiet, in dem man sich gern verirrt.

Einige Passagen des Albums lassen sich aller Unberechenbarkeit zum Trotz durchaus als Hintergrundambiente genießen, doch früher oder später, wie bei derbohrenden Dröhnungin “Reason of the Resonance”, schleicht sich eine spürbare Anspannung in die Szenerie, die nicht leicht zu ignorieren ist. Angenehmes und Herausforderndes überblenden sich vielleicht an keiner Stelle so gekonnt wie in “Les Corps Archets”, wo sich aus einem an dunklen Industrial erinnernden Brummen und Rattern eifache, harmonische Orchestralsounds mit einer orientalisch anmutenden Melodie herauswinden.

“Siamoises” ist ein Album von großer Anziehungskraft, sobald man sich voll auf die Musik eingelassen hat, doch es ist ein Locken und Blocken, denn alle Details entziehen sich konsequent jeder Greifbarkeit. Dies gibt der Musik eine besondere Aura und ist ganz nebenbei ein erfreulicher Unterschied zu dem, was in diversen Post Industrial-Genres gang und gebe ist.

Label: Fragment Factory