Die Etrusker waren eine Zivilisation, die grob bis zur Achsenzeit auf dem Gebiet der heutigen Toskana bestand, in deren Name eine ihrer vielen versteckten Spuren fortbesteht. Durch kriegerische Auseinandersetzungen, mehr aber noch durch die Selbstläufer der demografischen Ausbreitung wurde sie nach und nach von dem Königtum assimiliert, aus dem später das römische Weltreich hervorgehen sollte. Auch in dieser Kultur fand ihr Vermächtnis ein geheimes Nachleben und in dem Philosophen Seneca sogar einen einflussreichen Fürsprecher. Trotzdem ist die etruskische Kultur bis heute ein atlantisartiges Mysterium, bei dem man nie genau sagen kann, wo ihr Erbe beginnt und in welcher Form und Größe es in späteren Gesellschaften fortbestand.
Ähnlich der Idee der römischen Heroin in Tahiti, die in ihrem Konzeptalbum “Remoria” ein fiktives Reich entworfen haben, in dem sich Remus gegen seinen im Mythos überlegenen Bruder Romulus durchgesetzt hat, entwerfen die aus Francesco Cavaliere – bekannt von der Band Sea Urchin – und Spencer Clark bestehenden Etrusca 3D eine etruskische Zivilisation, die bis in eine fiktive Zukunft fortbesteht. Wie könnte der passende Score zu dieser Idee klingen?
Da der vertonte Stoff in einer Zukunft spielt, in der alles Etruskische in transformierter Form weiterexistiert, konnten die beiden sich eine Menge an Freiheiten nehmen und gebührend auskosten. Trotzdem gibt es mehrere deutliche rote Fäden, und einer besteht in der niemals zu wuchtigen Monumentalität der verwendeten Sounds. Der perkussive Klang synthetischer “Hand”-Drums leitet den Opener “Ennuha” ein, zusammen mit einem bläserartigen Sound entstehen kraftvolle Loops, auf deren Fundament Cavalieres beschwörende Rezitationen ertönen. Vielleicht sind dies die Namen etruskischer Gottheiten, von denen in den Liner Notes die Rede ist. Ich musste gerade bei den “Vicals” an die Musik in Pasolinis Medea denken, bei denen der Gesang der fiktiven Kolcher auch wie eine Pastiche tatsächlicher Ritualgesänge unterschiedlicher Herkunft anmutet. Viele der zehn Tracks haben wie “Il Demone Blu”, das auch in einem Computerspiel-Soundtrack eine gute Figur gemacht hätte, einen ohnehin leicht rituellen Charakter, dem immer auch ein drängendes, dramatisches Element innewohnt. Das kann durch evokative Monotonie (“Vanth”) ebenso erzeugt werden wie durch spannungsgeladenenen Exotismus (“Alpan indeX”).
Was die Stimmung und die Bandbreite der Klanggestaltung angeht, wird im Verlauf des Albums ein solides Panorama entworfen, und immer wieder gibt es überraschende Momente. “Tuchulcha” beginnt mit geheimnisvollen Tastbewegungen und entwickelt nach und nach eine Wucht wie Coils “The Golden Section”. Der Glissando eines verzauberten Goldregens fällt auf mysteriös verfremdete Stimmloops (“Veive”) oder auf sperrige Rhythmen (“Voltumna”).
Wenn der Titelsong zum krachenden Abschluss noch mal mit Bläsern, Rasseln und Pauken sämtliche Register zieht, hat man das Gefühl, aus einer reizvollen und zugleich befremdenden Parallelwelt zurückzukehren, von der man doch nur die viel beschworene Spitze des Eisbergs gesehen hat. Das sollte Grund genug sein für eine weitere Rotation und für die Hoffnung auf eine baldige Fortsetzung.
Label: Pacific City Discs / Discrepant