Musik, die mit Lärm und anderen atonalen Geräuschen arbeitet, kann ganz unterschiedliche Ziele verfolgen und auf verschiedenste Weise wahrgenommen werden. Sie kann eine Aura kraftvoller Selbstermächtigung haben oder eine düstere, resignative Ausstrahlung, und beides kann im Ergebnis sehr nah beieinander liegen. Eric Desjeux, der unter dem Alias Tzii ebenso aktiv ist wie unter seinem eigenen Namen, scheint mit atonaler, destruktiv anmutender Musik etwas noch spezielleres zu verbinden, nämlich die Zerstörung allzu idealer und geradliniger Vorstellungen vom eigenen Selbst – die Musik als eine Art Diabolos, Durcheinanderbringer, der Unordnung in selbstsicher abgeschirmte Egotrips bringt, bis sich würdevolle Unsicherheit einstellt und im besten Fall neue, bewusstere Orientierungen entstehen.
Auch für sein Label Night on Earth, das er vor zwanzig Jahren als Veröffentlichungsorgan für sich und zum Teil befreundete Musiker ins Leben rief, scheint dieses Motto zu gelten, weshalb die vor wenigen Monaten erschienene Anniversary-Compilation auf zwei Doppel-LPs wohl den Untertitel „Your Egotrip’s Nightmare“ trägt. Auf dieser finden sich fast dreißig Beiträge von zahlreichen internationalen Künstlern, die ein breites Panorama schräger, niemals vorhersehbarer Klangkunst eröffnen.
Auch wenn die Vielgestaltigkeit der vertretenen Stücke beeindruckt, macht sich beim Rotieren doch der eine oder andere Schwerpunkt bemerkbar. Zumeist sind das an Film oder Hörspiel erinnernde Tableaus auf dem Fundament kollagenartiger Überblendungen, zum anderen ein deutlicher Hang zu archaisch anmutender Perkussion. Die findet sich gleich beim Opener der (nach Bruno Bettelheim benannten?) Refrigerator Mothers, bei der Saitenspiel eventuell auf der Oud mit aggressivem Flüstern und einer Handperkussion kombiniert wird, für die wohl auch der Resonanzkörper des Instruments verwendet wurde. Schwindelerregend geht es beim rituell pulsierenden Stück von Sikhara mit Paul Beauchamp zu. Metallener in vielfältigen klanglichen Variationen geht es zu bei dem sanften und zugleich kantigen Track von Raffaele Cerronis Projekt Microloop. Thar Mapsal Program lassen dieses Pulsierende inmitten verwehter Chorgesänge ertönen, bei Perchten Scyla kontrastiert rituelles Rumpeln mit schönen, hochtönenden Streichern, Excess of Fat holen dies auf den Boden einer atonalen Wirklichkeit zurück. Elektronischer, looplastiger das ganze dann bei Jealousy Party und dem dystopisch klingenden Track von The Radar Thread.
Dieses Düstere findet sich auch in der schleppenden, von grummelnden Vocals durchzogenen Schwere von Officium und in einer Reihe von eher ambienten Beiträgen u.a. von NuR, Moineau Écarlate, den rhythischer ausgerichteten und mit einer grandiosen Patina arbeitenden Âme De Boue sowie Ripit. Näher noch an post-industriellen Hörgewohnheiten sind der Track von Contagious Orgasm, bei dem Verladegerumpel auf die Fata Morgana einer Melodie trifft, und das düstere „Western Gas“ von Gamaboy, der (die Illusion von?) Bläsersounds einbaut. Purer Lärm hat ebenso seinen Platz, am Prominentesten beim schrillen Feedback der Indonesier von Indra Menus. Ähnlich konfrontativ der brachial prasselnde und in sanfte(re)s Summen übergehende Noise von Cham und erst recht die Krachkarambolage in der Kollaboration zwischen Flutwacht und dem French Industrial Orkestra.
Das Gros der restlichen Beiträge fällt in den im Soundart-Kosmos etwas inflationär benannten, aber letztlich nicht minder interessanten Bereich der an Hörspiele erinnernden Klangkombinationen. Catherine Danger mit ihrer verspielten Elektronik und Kurator Tzii selbst mit seinen verfremdeten Sprachsamples über glitschig flirrenden Hochtönern zählt ebenso dazu wie das zum Teil schmerzhafte Gemenge inklusive Publikumsgeräusche von Paul Grémare. Manche Beiträge beeindrucken durch die innere Vielfalt ihrer teilweise episodischen Narrative, so z.B. Johnny Haway, der klimpernde Saiten, Liturgisches und Lärm zusammenbringt, ohne allzu stark auf Kontrastwirkungen zu setzen. Fast in Smooth Jazz-Gefilde mit verwehtem Klavier und Sax gehen Dissonant. Venimeuses verknüpfen eine leicht svankmejereske Vintage-Elektronik mit folkigem Gesang, Rinus van Alebeek ruft mit subtilen und brachialen Fundstücken von alten Tapes zum Kampf auf („Let’s Make War“). Von grooviger Jahrmarktsatmosphäre bis zu Ska-Takten sorgen die Solar Skeletons für Kurzweil, und die Catastrophic Mermaids on Parade und die Master Musicians of Hop-Frog – zwei personell verwandte Acts – wissen ebenfalls zu unterhalten mit einer Kollage an Fragmenten und einer Interpretation des König Heinrich VIII zugeschriebenen „Greensleeves“. Wer den Song einzig aus einer alten Joghurt-Werbung kennt, sollte sich auf eine wohlfühlfreie, surreale Version gefasst machen.
Schräger Humor, gewagte Soundkollagen, vornehmes Understatement und Einflüsse aus unterschiedlichsten Regionen von Belgien über das Rom Cerronis bis in die urbanen Labyrinthe von Jakarta und anderen östlichen Metropolen – Night on Earth zeigt hier auf musikalisch mehr als ansprechendem Niveau, das sie immer für alles standen, das an den meisten Orten zu kurz kommt und Medien wie dem unseren ihr Raison d’Etre gibt. Ich bin sicher, dass das so bleibt. (U.S.)
Label: Night on Earth