HASSAN WARGUI: Tiddukla

Wahrscheinlich sind in unseren Breiten nur wenigen mit der Sprache namens Taschelhit vertraut, die im bergigen Süden Marokkos verbreitet ist. Sie ist eine überlieferte Sprache verschiedener Ethnien, die unter dem Begriff Amazigh gefasst werden, obwohl die heute weitgehen abgelehnte Fremdbezeichnung Berber, die vermutlich vom griechischen bárbaros abstammt, immer noch bekannter ist. In den Zeiträumen, die man in Europa Mittelalter und Frühe Neuzeit nennt, entstanden zum Teil bedeutende literarische Zeugnisse in dieser Sprache, und obwohl sie im Laufe der Zeit immer mehr vom Arabischen verdrängt wurde, ist sie im Alltagsgebrauch nie ausgestorben, und seit einigen Jahrzehnten gibt es wieder vermehrt schriftliche und auch – für uns natürlich besonders interessant – musikalische Zeugnisse.

Einer der heute populärsten Sänger in Taschelhit ist der noch junge Hassan Wargui, der außerdem in seinem Land als Banjospieler bekannt ist. Man bringt dieses Instrument meist mit Appalachian Folk und anderer Americana in Verbindung, doch im Zuge der Globalisierung wurde er vor Jahrzehnten auch in Nord- und Westafrika populär – eine interessante Entwicklung, da Vorläufer dieses Instrument gerade in diesen Regionen ihren Ursprung haben. Wargui, der selbst Instrumentenbauer ist, sang und spielte in verschiedenen lokalen Gruppen, bis er vor ein paar Jahren mit Unterstützung einer Handvoll Freunde ein ebenso raues wie hypnotisches Album auf die Beine brachte. Da es – eventuell weil es in seiner früher verbotenen Muttersprache gesungen war – schwer war, ein Label zu finden, veröffentlichte er es lediglich über Youtube. Fünf Jahre später wurden die Betreiber von Hive Mind auf die Songs aufmerksam, und so erblickte das “Tiddukla” betitelte Werk doch noch auf einem physischen Tonträger das Licht der Welt.

Das fulminante Intro, das die ersten zwei Minuten des Openers “Arzff” einleitet, könnte auch auf einer Oud bewerkstelligt werden – ein tolles Allegro, das trotz alledem eine gewisse Wehmut verströmt, trotz der gelösten Handdrums, die irgendwann hinzukommen. Der mal mehrstimmige, mal solo vorgetragene Gesang, der noch etwas später einsetzt, verleiht dem Stück etwas Episches und bildet ein weiteres verbindendes Element der fünf Tracks. Obwohl vieles wiederkehrt und die Musik ohnehin stark mit repetitiven Mitteln vorgeht, offenbaren die einzelnen Songs doch ihre eigenen Charakterzüge, die sich durch Tempowechsel oder den Einsatz von Rasseln beispielsweise durch unterschiedliche Grade der Heiterkeit (besonders betont beim eingängigen “Iswal Omarg”, bei dem man trotz der Sprachbarriere die erzählte Geschichte deutlich spüren kann).

Ähnlich dem Tempo ändern sich oft in einem Stück die Melodien des Gesangs oder der ornamentalen Banjoparts, deren Spiel auf den hohen Saiten wie in “Azmz” schon mal Reminiszenzen an ostasiatische Musik anklingen lässt, doch wer weiß, ob das nicht nur eine Illusion ist. Im Titelstück gestalten sich all diese Wechsel am eindrucksvollsten, schaffen eine episodische Struktur, die durch das stete Kippen von Gesang in Rezitation und zurück noch verstärkt wird. Vermutlich künden die Gesänge von Licht und Schatten, doch wenn das galloppierend aufgeweckten “Gar Miden” für einen heiteren Ausklang sorgt, bleibt der Nachgeschmack einer unverwüstlichen Stehauf-Mentalität. Großartiges Album!

Label: Hive Mind Records