SIMON BALESTRAZZI / NICOLA QUIRICONI: Licheni

Vielleicht haben Simon Balestrazzi und Nicola Quirincioni ihr erstes Duett deshalb nach dem Lichen bzw. der Flechte benannt, weil in ihrer Musik die unterschiedlichsten Komponenten wie in einem riesigen Netz immer wieder mit einander verknüpft sind: Mechanisches und subtile Elektronik, dezente Dröhnung aus verschidenen Quellen, die menschliche Stimme in “unmusikalischen” Äußerungen und einiges mehr dockt immer wieder in unregelmäßigen Abständen aneinander an, geht auseinander hervor, bildet immer wieder andere Knoten.

Zahlreiche, dem Eindruck nach kleine Objekte und eine Handvoll Kontaktmikros erschaffen ein äußerst feinsinniges klangliches Referenzsystem, in dem ungeordnetes (oft metallenes) Klappern, Quietschen, Rasseln und Rumoren erst mit der Zeit ein undeutliches Muster erkennen lassen. Dicke Striche jaulenden Feedbacks und verrauschter Lärm schaffen durch ihren ansteigenden Verlauf von Zeit zu Zeit eine Illusion der Linearität und bieten einem den fragwürdigen Anker in der Welt vertrauter Sounds. Je nach onthologischer Ausrichtung könnte man dies freilich als abstrakte Art von Mimesis, oder noch einfacher als Realismus betrachten. Den besagten Anker könnte man vielleicht auch von der Stimmarbeit Quirincionis erwarten, doch die macht einem dann fast immer einen gewaltigen Strich durch die Rechnung: Oft gerät sie zu einem unheimlichen Brummen und Fauchen, das an eine Bestie erinnert, oder sie gibt sich gähnend und schmatzend betont ehrlich und unvorteilhaft.

Was dieses Geflecht – das dankenswerterweise nicht klischeehaft Rhizom genannt wurde – so reizvoll macht, ist nicht nur seine Unberechenbarkeit, sondern auch seine griffige, fast reliefartig haptische Beschaffenheit, die dem spezifischen Klang des Albums einen eigenen Ort innerhalb der vielen Projekte der beiden Künstler gibt. (U.S.)

Label: AZOTH