VAULT OF BLOSSOMED ROPES: Etidorhpa

Vault of Blossomed Ropes zählen mit Lüüp und den Black Lesbian Fishermen zu den großen Gemeinschaftsprojekten im musikalischen Underground des Großraums Athen. Was die vier Beteiligten – Anna Linardou, Nikos Fokas, Stelios Romaliadis, Giorgos Varoutas – auf ihrem neuen Album “Etidorhpa” mit relativ wenigen Instrumenten auf die Beine bringen, muss sich in Sachen Opulenz und Abwechslung keineswegs hinter den Erzeugnissen üppigerer Gruppen verstecken.

Das etwas zungenbrecherisch betitelte Album startet noch recht zaghaft wie eine getragene Ambientplatte, in deren Texturen sanfter, aber keineswegs süßlicher Frauengesang verwoben ist. Gefahr ist im Verzug, wenn ein Hubschrauber durch die von zirpenden Zikaden erfüllte Nacht kreist, und kurz darauf legt sich eine doomige Schwere über den primär aus Samples kunstvoll zusammenmontierten Schauplatz.

Ein mystisch okkulter Grundtenor offenbart sich selbst dann, wenn man sich der Musik ohne weitere Hintergrundinformationen nähert. Nicht nur, wenn Linardou vor elektroakustischer Soundkulisse auf englisch aus einem “alchemistischen Brief” vorliest, denn auch das Soundgemenge, bei dem kurz darauf Bläser, Stimme und gesampelte Sounds zu einem “elektrifizierten Wald” oder zumindest einer unentwirrbar wirkenden Einheit verschmelzen, haftet der Eindruck von etwas Magischem an. Nicht nur bei dem Gesang, der in “The Cry From A Distance” an ein tibetisches Ritual erinnert und kurz darauf in atemloses Hecheln übergeht, bleibt dieser Eindruck bestehen, denn auch die schlicht-schönen Gitarrenparts, die sich in “Motion of Matter” aus einer knackenden und rauschenden Klangwelt herauswinden, haben die alchemistische Aura einer sich stets transformierenden Welt. Ein ähnlicher Eindruck entsteht wenig später, wenn sich Annas Stimme schnell und hastig aus einer steinernen Gerölllandschaft herauswindet, und den Rest der Klänge verzaubert – Die Musik auf “Etidorhpa” ist eine Musik des Vermengens, Legierens, Hereinbrechens und Herauskristallisierens.

Dass das Quartett die Hörer in eine unterirdische Parallelwelt entführt, ist keine bloße Floskel, denn der Titel, der – für alle, denen es ähnlich dem Rezensenten nicht unmittelbar aufgefallen ist – rückwärts buchstabiert Aphrodite bedeutet, ist einem mystischen Science-Fiction-Roman des amerikanischen Apothekers und Autors John Uri Lloyd aus dem Jahr 1895 entlehnt. In diesem wird die Geschichte der Entführung eines etwas farblosen, ebenfalls pharmazeutisch tätigen Mannes in eine Höhle im ländlichen Kentucky erzählt, von wo aus er ins Innere der Erde weiterreist. Dort werden ihm von Mitgleidern einer Geheimgesellschaft nach und nach alchemistische Geheimnisse offenbart, deren Ziel die Überwindung der Materialität ist – ein Aspekt, der im schwebenden Sound des abschließenden “The End of Earth” gekonnt umgesetzt wird. Wie Vault of Blossomed Ropes zu diesem Thema stehen, ob sie ein rein “kulturelles” oder ein ernsthaft esoterisches Interesse an dem Stoff haben, bleibt offen, und entsprechend wird den Rezipienten hier auch einiges gezeigt und zugleich wenig gepredigt.

Doch auch ohne diesen Überbau hat man es auf “Etidorhpa” mit einem ausgesprochen spannenden und in vielen Passagen emotional berührenden Klangkunstalbum zu tun, und müsste ich einzelne Tracks hervorheben, dann wären es vermutlich gerade die wehmütigen Stücke, in denen Romaliadis’ Flötenspiel eine wesentliche Rolle spielt – der summende, orientalisierende Ambient des Titelstücks, die von den Flöten halb zugedeckte Geröllhalde in “Looking Backward” und v.a. “Vitalized Darkness”: Hier weckt die mit viel Atemluft gespielte Flöte eine asiatische Assoziation, doch wenn in den folgenden Abschnitten düsteres Rauschen und vermengte Gitarren die Führung übernehmen, tritt Annas Atem ganz an den vorderen Bühnenrand und steigert sich ein weiteres mal in einen geradezu apokalyptischen Sturm.

“Etidorhpa” ist Vassilios Filippakopoulos gewidmet, dem vor einigen Monaten verstorbenen Betreiber des Athener Underflow-Labels, bei dem es zu seinen Lebzeiten vielleicht herausgekommen wäre. Dass das (sub-)kulturelle Leben in der Gegend auf dem von Leuten wie Filippakopoulos geschaffenen Fundament weiter gedeiht – auch dafür ist dieses Album ein großartiger Beleg. (U.S.)

Label: Tadoma