Wenn man sich ganz in der Musik auf „Forgotten Hill“ verliert, scheint man auch sein Gefühl für die Zeit und die Struktur der feinsinnigen Kompositionen zu verlieren – alles wird zu einem verträumten, impressionistischen Gemenge aus smoothen und gleichsam leicht aufgerauhten Klangschichten, die in molllastigen Melodiefragmenten immer wieder ineinander münden, verschmelzen und gelegentlich einzelne hohe Töne wie Reflexionen eines Sonnenstrahls auf einer vom Auge nur kurz gestreiften Wasseroberfläche aufscheinen und wieder im stets veränderlichen Gemisch der Klänge verschwinden lässt.
„Forgotten Hill“, „Cherry Blossom Petals Fall Like Heavy Snow“, „Falling Star“, „Sleeping Queen“, „Staring at the Mountain“: Schon bei diesen Songtiteln besteht kaum ein Zweifel mehr, dass der Ambientkünstler Chihei Hatakeyama mit seinen hinter einem verschwommenen Film halbversteckten Kompositionen, dem gelegentlichen Gitarrenpicking und den vereinzelten Pünktchen auf dem E-Piano auf eine verschmelzende, nur noch diffus wahrnehmbare Wirkung abzielt, die zu versträumt ist, um meditativ im eigentlichen Sinne zu sein. Auch der biografische Hintergrund hat mir einr ganz eigenen Zeiterfahrung zu tun, bei der der Künstler eine imaginäre Grenze zur Vergangenheit überschritt.
Vor einigen Jahren fuhr der in Tokyo lebende Hatakeyama in die Nara-Region nahe Kyoto und Osaka und besuchte das Dorf Asuka, auf dessen Grund im 6. und 7. Jahrhundert die Hauptstadt eines alten Reiches lag, besuchte Ruinen, eine große Buddhastatue und einen alten Begräbnishügel – Orte, die heute wie bizarre Fremdkörper in dieser touristisch nur minimal erschlossenen Gegend zwischen Reisfeldern verborgen liegen. In den Liner-Notes berichtet Hatakeyama, dass er sich beinahe von diesen Orten verschluckt fühlte, einen seltsamen Druck spürte, und sich, vielleicht durch die Spuren all der Dinge, die sich in den letzten dreizehnhundert Jahren dort ereignet haben mögen, wie in eine kaum greifbare Zukunft katapultiert fühlte.
„Forgotten Hill“ ist weniger ein Porträt dieses Ortes, sondern die Musik zu all dem, was der Komponist an ihm empfunden haben mag, und auch wenn man gelegentlich auch die Dramatik heraushören kann, die aus seinen Beschreibungen spricht, zeichnet die Musik doch ein eher besinnliches, geradezu schöngeistiges Bild von einem sicher bereichernden Erlebnis.
Label: Room40