Auf “Fuyu” treffen wir auf zwei Musikerinnen, die die Bühne bereits zusammen in den Jahren nach 2000 betraten: Eri Isaka alias Viviankrist als Shouterin und Bassistin der Crust-Doom-BM-Combo Gallhammer und Risa Egawa alias Risaripa am Schlagzeug derselben Band. Beide sind auch nachdem die Gruppe vorerst auf Eis gelegt wurde aktiv und haben in der Zwischenzeit dunkle, meist lärmende elektronische Musik als Ausdrucksmedium entdeckt, oder besser wiederentdeckt, denn beide waren schon vor Gallhammer in ähnlichen Gefilden unterwegs. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu musikalischen Zusammentreffen in Form von Splits, Kollaborationen und gemeinsamen Auftritten, das Gros ihrer Arbeiten erfolgt jedoch solo. Gerade Risaripa ist seit einiger Zeit ungemein produktiv, seit ihrem Tape “Kuniumi” erschienen bereits zwei weitere digitale Alben.
“Fuyu”, das im japanischen “Winter” bedeutet und den Themenrahmen klar vorgibt, ist gewissermaßen Kollaboration und Split zugleich, denn beide Künstlerinnen steuern neben gemeinsamen Tracks auch einzelne Stücke bei. Dass das Album dennoch wie aus einem Guss wirkt, ist sicher nicht nur der Verwendung der gleichen Klangquellen – neben Risas Stimme modulares Eurorack-Gerät – geschuldet, sondern auch einer gemeinsamen musikalischen Vision.
Viviankrist eröffnet die Sammlung mit den kreisenden, rhythmischen Loops von “Soar Into Spring”. Was immer dort erwacht, erfährt leichte Veränderungen bzw. Ergänzungen, die so subtil bleiben, dass man sie kurzzeitig für Illusionen halten könnte. Alles ist kühl und prescht nach vorn, verweigert aber konzequent den Absturz in konventionelle Techno-und Elektrostrukturen, bliebt so etwas wie einer elektronischen Minimal Music (nicht Minimal Electro) verpflichtet. Etwas tastender und zugleich nervöser gestaltet sich das ebenfalls von ihr im Alleingang produzierte “Slipping On Ice”, dessen Rhythmik in einem inneren Widerstreit begriffen ist, obwohl sie vordergründig so simpel wirkt. Wer bislang eher die wärmeren doomigen Klanglandschaften kennt, die sie unter dem Namen Gallkrist produziert, lernt hier eine ganz andere Seite der Künstlerin kennen, die heute im kühlen Norden Europas lebt.
An die vordergründig aufgeräumte Taktung knüpft Risaripa mit “The Broken Heater” an, dessen brummende und fiepende Analogsounds eine surreale Komponente einbringen, die durch weitere Details – die stete Veränderung der Takte und nicht zuletzt Risas verfremdete, unverständliche Vocals – unterfüttert wird. Auch hier steigert sich einiges, und wenn man irgendwann merkt, dass man wie eine Staubschicht von einer Tischplatte gewischt wird, ist es bereits zu spät. Auch ihr “Omiwatari” nimmt das Tempo zurück und illustriert ebenso subtil wie harsch das Aufbäumen des Eises, das auf einem zugefrorenen See beeindruckende kleine Bergrücken bildet. Ihr kehliger Gesang wird einige an gewisse Horrorfilme erinnern. Dass ein Sinn für bizarre Komik ein (gar nicht immer verstecktes) Kennzeichen ihrer Musik ist, zeigt sich auch hier.
In besseren Zeiten wäre das Werk auf Vinyl erschienen und die zweite Seite wäre dann ganz den gemeinsamen Aufnahmen der beiden vorbehalten. Auf das gebrochen rhythm-noisige “Creatures of Winter”, das in beide Richtungen an der Dynamikschraube dreht, folgt “Exreme Omochi-tsuki”, ein von flirrenden und quietschnden Analogsounds begleiteter Marsch, und selbst der gefrorene Reiskuchen im Titel hat die Kälte mit den Referenzen der anderen Songs gemeinsam.
“In The Night Sky” lässt eine wilde Jagd mit recht straightem Klappern übers Firmament ziehen, “Story Of Snowy Night” schließt das Album dann wie ein sehnsuchtsvoller Klangegesang ab – auch wenn Risas typische Stimmarbeit, aus der man die Wurzeln im Metal deutlich erkennt, nicht für jeden ins elegische Bild passen mag, aber die Musik auf “Fuyu” mit ihrem winterkalten Sound ist auch nicht für jeden gedacht. Man darf gespannt sein, was die kommenden Jahreszeiten bringen. (U.S.)