Als die Slowenen Borghesia 1986 einen Soundtrack zu Un chant d’amour, dem einzigen Film des gerade verstorbenen Autors Jean Genet komponierten, existierte dieser bereits seit mehr als dreißig Jahren. Kurz nach seiner Fertigstellung 1950 landete er für ganze zwanzig Jahre auf dem Index, der Grund war die damals verpönte offene Darstellung von Homosexualität und einzelne pornografische Szenen.
Der 26minütige Kurzfilm, der hierzulande unter dem Titel Ein Liebeslied oder Ein Liebesgesang geführt wird, erzählt die Geschichte der beiden Sträflinge Bravo und Lucien, die durch ein geheimes Loch in der Zellenwand ein halbvirtuelles Liebesverhältnis beginnen, dabei aber von einem eifersüchtigen Wachmann beobachtet und schikaniert werden.
Mitte der 80er, als Borghesia den Film für sich entdeckten, lebten sie im Zentrum eines zwiespältigen Umfeldes. Einerseits war Ljubljana damals eine subkulturelle Hochburg, in der mehr – auch sexuell – nonkonformes Leben stattfinden konnte als in den meisten anderen Orten im Südosten Europas. Auf der anderen Seite existierte auch dieses Biotop vor dem Hintergrund eines allgegenwärtigen repressiven Systems. Auch diese Ambiguität könnte, ohne allzu große Analogien und Kausalitäten konstruieren zu wollen, das Interesse am Stoff des Films erklären.
Im Zusammenspiel von Film und Musik hat das Ganze durchaus Züge eines langen Videoclips, denn Borghesia begegnen den eher langsam ablaufenden Szenen und der oft nur mit Andeutungen arbeitenden Erzählweise mit einem opulenten und trotz eines gewissen Minimalismus bisweilen monumentalen Score, in dem auf eine Einführung mit flächigen Synthies, die so etwas wie ein Panorama implizieren, nicht nur unverständlich murmelnde Stimmen, sondern alsbald feierliche Orgelklänge und sperriger Lärm folgen. Spätestens wenn irgendwann Rhythmisches (z.B. handclapartige Takte einer Drummachine) hinzukommt, wird die Entstehungszeit Mitte der 80er deutlich, wobei die Musik mehr Spuren der elektronischer Avantgarde als des Pop in sich trägt.
Ganz gleich, ob Casio und Roland deutlich im Zentrum des Geschehens stehen, oder ob sich in einigen Momenten orchestrale Samples oder zumindest ähnlich klingendes in dubbigen Hallräumen bemerkbar machen – Spannung ist eine der Grundeigenschaften der an retardierenden Momenten und aufwühlenden kleinen Höhepunkten reichen Komposition. Weitere 35 Jahre später haben Borghesia das Original-Tape aus der Kiste geholt, neu editiert und so diese Arbeit, deren Ursprünge weit ins 20. Jahrhundert zurückreichen, erneut zugänglich gemacht.
Label: Final Muzik