THOMAS NÖLA ET SON ORCHESTRE: How’s Your Rainbow

Manchmal ereignen sich in den Sekunden kurz vor dem Aufwachen kleine Traumfetzen, die sich so stark ins Bewusstsein eingravieren, dass sie auch im Wachzustand noch lange präsent sind und alle Sinne mit imaginierten Eindrücken fluten. Auch wenn es sich oft nur um kleine fragmentarische Sequenzen handelt, wird man doch einer gewissen Tiefe gewahr und stellt sich die Fragmente als Ausschnitte einer viel größeren Parallwelt vor. Sie könnte der gleichen, die sich Song für Song im neuen Album von Thomas Nöla et son Orchestre entfaltet.

Thomas Nöla ist auf unseren Seiten bisher nur als Teil des Duos Les Paradisiers vorgekommen, doch sein musikalisches Schaffen als Singer-Songwriter mit leicht sperrigem Einschlag ist viel umfangreicher. Vor einiger Zeit hat er sich nach gut einem Jahrzehnt wieder seinem früheren Stammprojekt zugewandt, das er mit der Cellistin Karen S. Langlie und gelegentlichen Gästen betreibt.

“How’s your Rainbow” lässt eine Welt entstehen, die nach eigener Angabe einem Buch mit Kindergeschichten entsprungen sein könnte, “read from the dunes of the moon”. Schon in den ersten Minuten, im Opener “The Yellow House”, findet diese kindlich-surreale Gestimmtheit ihren Ausdruck in einer stilvoll eiernden Pianospur und den unbeschwerten Worten eines Kindes. Ein reizvoller Zug des Album liegt in dem ständigen Aufeinandertreffen heiterer und schwermütiger Details – z.B. wenn eine gelöste, verspielte Musik auf Nölas meist ernsten, melancholisch eingefärbten Gesang trifft. Das wird besonders im vielleicht poppigsten Song “Now I’m a Dune” deutlich, dessen tanzbare Geradlinigkeit nur durch die verspielten Samples eine allzu gefällige Eingängigkeit verweigert.

In anderen Songs wie dem postpunkigen “Too Many Gables” packt der Sänger noch mehr Pathos in seine tiefe Stimme, die immer wieder Vergleiche – Nick Cave und Brian Wilson wurden bereits genannt und ich selbst wagte einmal einen Vergleich zu den Shock Headed Peters – nach sich zog, um vor Handdrums und breiten Gitarren seine Klage über das Überwältigt- und Überfordertsein vom Leben anzustimmen. Solchen Momenten zum trotz sollte man “How’s your Rainbow” dennoch nicht als dunkles, resignatives Werk sehen, denn was an vielen Stellen durchscheint ist eine starke Empathie und ein Bekenntnis zur Suche und zum Hoffen – letzteres ganz deutlich auch im Text zu “H.I.Y.R.T.?”, das so etwas wie der Titelsong ist und auch dem Regenbogen und seinen Farben die Ehre erweist.

Es ist nicht leicht, “How’s your Rainbow” einer bestimmten musikalischen Richtung zuzuordnen, doch schon das vermittelt eine Idee von der stilistischen Vielfalt der Musik, bei der meditative Soundscapes mit nostalgischen Synthies und zum Chor multiplizierten Stimmen (“Sky Archer”) auf ausgelassene Spielzeugsounds (“Spider Song”), exotischen Groove (“Sorry Mr. Crow”) und Springteufel in Zeitlupe (“Hey, Phantom”) treffen. Und immer verschwimmen die unterschiedlichsten Dinge miteinander – gelöste Takte, ungreifbare, tremolierende Sounds und eine im Untergrund wirkende, kraftvolle Bewegung – die z.B. einem Song wie “Solar Ladder” eine emotionale Tiefe geben, die nur bei oberflächlicher Betrachtung wie Exzentrik anmutet.

All diese Stücke wirken wie Slices of Life, wie fragmenthafte Shortstories, die einen Auszug von etwas Größerem heranzoomen, dessen volle Gestalt erst nach einigen Hördurchgängen im Bewusstseind es Hörers sichtbar wird. Dass sich dieses längere Verweilen lohnt, ist jedoch von Beginn an spürbar. (U.S.)

Label: Grabaciones Sentimentales