MY BELOVED: Tarnish

Ein solides Set an Instrumenten, das sich erst einmal der Reihe nach vorstellt, kann einem Album einen langweiligen Auftakt bescheren oder aber, wenn Spannungsmomente ausreichend vorhanden sind, die Neugierigen ködern. So ist es in “Tarnish”, dem sechsten Album der Band My Beloved, dessen atmosphärisches Gitarrenspiel gleich zu Beginn ein nächtliches Setting entstehen lässt. Gemächliche, aber keineswegs unterkomplexe Drumarbeit lässt kurz darauf die Dynamik ahnen, die alsbald zum Standard der meisten Tracks wird, und wenn wenig später eine cinematische Pianospur in den Vordergrund tritt und so erneut eine ganz andere Richtung einschlägt, wird klar, dass hier Spannung groß und Seichtheit jedweder Art kleingeschrieben wird.

My Beloved – anglophone Bibelkenner denken bei dem Namen sofort an einen berühmten Versanfang aus dem Hohelied Salomons aus einer Passage, die immer wieder gerne – z.B. von Current 93 oder Christian Death – als Songtext verwendet wurde. Unter dem Namen firmiert seit Jahren auch ein dänisches Quartett, dessen rein instrumental gehaltene Musik interessante Grenzbereiche auslotet zwischen (Post- und Art-)Rock, verhaltenen Ambient-Elementen und Ansätzen dessen, was gerne Dark Jazz genannt wird.

Würde man “Tarnish” nicht von Anfang an durchhören, sondern die Nadel auf beliebige Stellen des Albums setzen, könnte man je nach Passage einen ganz unterschiedlichen Eindruck seiner atmosphärischen Grundstimmung bekommen. Es gibt einen aufwühlenden Grundtenor, der sich bei genauerem Hören durch das ganze Album zieht, der aber an einigen Stellen die Begrenzung des Subtilen verlässt und zur reinen aufwallenden Emotion wird. Die ekstatischen Trommelwirbel in “Dead End” geben Zeugnis davon, mehr noch in “Restored”, wo Drumrolls und Twangs an die Anspannung vor einem ungewissen Showdown erinnern. “Writhe” leitet quasi die zweite Hälfte des Albums zunächst ruhig ein, doch bald kommt die Musik in Fahrt, und es ist eine turbulente Fahrt über unebene Schuttwege mit kratzigem Gestrüpp in einem Midtempo, in dem dennoch Freakout möglich ist.

Steigt man an anderen Stellen ein, könnte einem “Tarnish” für Momente wie ein Monument stoischer Abgeklärtheit vorkommen, dass sich bei besserer Aufmerksamkeit jedoch als durchaus emotionales, aber eben auch souveränes Werk entpuppt. Den Klavierparts in “Frontier” setzt eine orientalisierende Gitarrenmelodie die Krone auf und schafft eine Atmosphäre wie in einem Thriller, dessen Abspann mit dem ähnlich gelagerten “The Dance” oder mit dem rauschhaft tremolierenden “Echo Man’s Dream” untermalt sein könnte. Im eher kurz geratenen Titeltrack führen Pauken in einen schwermütig ausgeleuchteten, nächtlichen Paradisgarten, in dem eine ganz eigene Schwermütigkeit herrscht.

Spätestens an solchen Stellen wird deutlich, dass Ruhe und Turbulenz auf “Tarnish” bloß zwei Seiten einer ganz eigenen Emotionalität verkörpern – eine Emotionalität, die das Album oft ungreifbar und gerade deshalb umso reizvoller macht. (A.Kaudaht)

Label: Vicious Studio & Records