ANGELINA YERSHOWA / YNAKTERA: Time for Change

Es ist immer großartig, wenn ein Wandel von etwas Schönem eingeleitet wird. Das Album von Angelina Yershowa und dem italienischen Klangkünstler Ynaktera, das den Titel “Time for Change” trägt, beginnt fast wie ein fernes Vogelkonzert. Kommt die Musik erst in Fahrt, erlebt man einen animierten Flug im Zeitraffer über weites Land, bei dem man nicht zwangsläufig an die zentralasiatischen Weiten denken muss, in denen Yershowa aufgewachsen ist, aber bei entsprechendem Hintergrundwissen kann diese Assoziation schnell entstehen.

Wie ein noch schlaftrunkenes Erwachen durch eine blendende Sonne transportieren die Stromschnellen eines klaren Klaviers viele Gerüche und Geschmacksreize, doch auch Rauschen und scharfe Klänge sind darunter, wie um Gefahr zu signalisieren. “Awakening Goddess” heißt das eröffnende Stück, und man denkt vielleicht an eine Gottheit, die ihre Welt inspiziert, aber neben all der Schönheit auch auf Gefahrvolles stößt. In ihren kontrastreichen atmosphärischen Soundscapes reflektieren Yershowa und Ynaktera über das Thema des Klimawandels und all der möglichen Konsequenzen auch evolutionäre Art: Wie können wir uns entwickeln, ohne dabei zu verschwinden?

Nach eigener Aussage, aber zum Teil schon aus den Titeln ersichtlich ist eines der zentralen Themen das Wasser, dass unseren Planeten zu über 70% bedeckt. Es ist natürlich auch direkt zu hören: Eine rauschende Brandung eröffnet das vergleichsweise klavierarme “Global Ocean Warming”, brodelnd und sirrend wie heiße Materie. Ein plötzlicher heftiger Regenschutt setzt ein und leitet über in klirrende Elektronik, in deren Drohkulisse man noch Spuren des Klaviers vernehmen kann. Die zentrale Geste dabei ist die das Fragens, was bei dem ungewissen Thema nicht wundert und sich auch in anderen Stücken findet, in denen stets auch Aquatisches zu hören ist. Sind es Eisschollen, über die jemand in “Walking on Water” mit seinem cinematischen Spannungsmomenten geht und werden sie kleiner? Ist es die drohende Apokalypse, die in “Shamanic Morse Code” so dunkel dröhnt und hektisch knackt, oder ist es die magische Kraft, die sich dem entgegen stellt? Woher kommt das Bittere im rollenden Glissando und in melodischen Ambient des fast idyllischen “One Planet”? Was bewirkt das “Cluster Light” nur beinahe ein Popsong geworden ist?

Man könnte letzteres darauf zurückführen, dass vor allem Yershowa, wie doch eher von Minimalisten wie Wim Mertens oder Terry Riley geprägt ist als von poppiger Klaviermusik, doch scheint das vor allem dem Thema angemessen, dessen Dringlichkeit sich in wenigen Momenten so deutlich zeigt, wie im ambienten “For Miracle”, das das Album noch einmal mit einem dramatischen Aufbäumen zum Abschluss bringt.

Auch aufgrund solcher Eruptionen ist “Time for Change” ein äußerst eindringliches Werk geworden, und im Verlauf des Albums kam mir öfter der Gedanke, dass die thematisch ganz ähnlich interessierte Anohni eine vielversprechende Kollaborateurin sein könnte, sollten die beiden einmal eine Musik komponieren, in der auch Gesang vorkommt. (U.S.)

Label: Twin Paradox Records