Vielleicht muss man weitgereist sein, um zu erkennen, dass man zu den Menschen gehört, die sich nicht auf die Illusion eines Zuhauses – und ich spreche hier von einer Illusion insofern, dass die Ideen, die man vom eigenen Leben hat, auf eine gewisse Weise immer illusiorisch sind - einlassen können oder wollen. Der bekannte Stummfilm-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau schrieb seiner Mutter aus Tahiti, wo er gerade seinen letzten Film Tabu drehte, dass er das Heimweh nur bedingt spüre, denn kein Land, kein Haus, kein Mensch als Gesellschaft könne ihm wirklich ein Gefühl von Heimat vermitteln. Gerade auf der Insel am anderen Ende der Welt, von der er sich verhext fühlte, wurde ihm diese Erkenntnis besonders bewusst.
Das kompakte, aber intensive klangkollagenhafte Album, das Zeena Schreck – ehemals Radio Werewolf – über eine fiktive post-biografische Episode um Murnau komponierte und begleitenden Videos von einem gewissen Tnopud Salocin ergänzte, beginnt mit einem Auszug dieses Briefes, passend gerahmt durch die Klänge tropischer Gezeiten und vorgetragen mit einer verlangsamten, androgynen Stimme. Die Spukgeschichte, die den Hintergrund der Musik bildet, handelt von der Entführung des Kopfes des Regisseurs vom Friedhof in Stahnsdorf bei Berlin – was manche für eine urbane Legende halten mögen, hat sich vor gut siehen Jahren tatsächlich zugetragen, und so überdauert die Heimatlosigkeit des Meisters dessen physisches Leben.
Ein Merkmal des Albums liegt in der ständigen Überblendung von Leben und Werk des Regisseurs. “Ill Omens”, dessen Melange aus verfremdeten, vielleicht gesampleten Instrumenten an ein leicht in Sepia getöntes Grau erinnert, könnte ein kongenialer Score zu dem bizarren Schädelraub sein, und doch erinnert die Spannung, das grobkörnig und flickernd anmutende Brummen und Rauschen, nach dem nur noch die Totelglocke bleibt, an so manche Filmszene aus Murnaus Oeuvre. “Drive up the Coast” ist wie eine kleine und friedvolle Miniatur: Orgel und Walzertakt evozieren eine Jahrmarkts-Atmosphäre, und auch wenn man später die Klänge des Regens und das Hupen eines Oldtimers hört, mag man vielleicht auch an Kalifornien denken, wo Zeena selbst ihre frühen Jahre verbrachte.
Wirkten die ersten drei Tracks noch wie eine milde Einführung, so geht es bei den restlichen Kompositionen stärker zur Sache. “Tabu”, das Textauszüge aus dem gleichnamigen Film enthält, ist mit der rituellen Perkussion von Drummer Hisham A. Bharoocha, mit seinen Handdrums und Rasseln, den seltsamen Reverbs und den Orchester-Zitaten eine furiose Feier der dunklen Seite der Exotik, und es enthält in Zeenas Rezitation die Warnung, das titelgebende Tabu besser zu achten. In “The Phantom Bridge”, das eine prägnante Szene aus Murnaus bekanntestem Film Nosferatu aufgreift, schwebt diese Stimme wie Rauschen in den Raum, flankiert von hellen Glocken und ihrem Staub. Im Flüsterton kündet die Stimme von ungekannten Orten und Dingen, aber auch vom Leben, das den Körper verlässt, während im Hintergrund Wasser plätschert. Für alle, denen Zeenas Hintergrund im tantrischen Buddhismus des Vajrayana bekannt ist, könnte sich hier, in den Zitaten des Vampirs, ganz andere Dimensionen eröffnen.
Im finalen, mit ratternder Filmrolle eröffneten Stück “Endlich Daheim”, dessen Lyrics von Zeena selbst stammen, offenbart sich die ganze Spukgeschichte um das offene Grab, bei der der Regisseur Jahrzehnte nach seinem physischen Ableben anscheinend tatsächlich sein Zuhause gefunden zu haben scheint.
“Bring Me The Head Of F.W. Murnau” ist ein schönes kurzes Stück Musik, das die Aura alter fantastischer Filmscores in ein reizvolles experimentelles Gewand packt und dabei keine Sekunde unglaubwürdig wirkt. All dies und die Würdigung des Meisters wird keineswegs gestört dadurch, dass auch die Signatur der Musikerin selbst stets präsent ist und manchmal durch kleine und weniger kleine Hinweise explizit wird. Das schon genannte Echo einer irgendwo in Karloffornien verblassten Jahrmarkts und der Bezug zum Tantra könnten auch dem Zufall geschuldet und eine Projektion des Rezensenten sein. Weniger allerdings der Titel, der auf ein Radio Werewolf-Release (und indirekt auf einen anderen Filmklassiker, Bring me the Head of Alfredo Garcia) Bezug nimmt – damals ging es um den Kopf eines unliebsamen Journalisten.
Wenn auf diese Weise Vergangenheit und Gegenwart, Leben und Nachleben, Eigenes und Fremdes verquickt werden, wird einmal mehr deutlich, wie illusionär die Empfindungen von Zeit, Raum und dem, was man für das Selbst hält, an Ende sind. Dass man Zeena und die Welt Murnaus dennoch durchgehend spürt, ist dabei kein Widerspruch. (U.S.)