GRIM: Message

Hätten die subkulturellen Phänomene, die irgendwann von Juristen und Journalisten als Wreckers of Civilization oder England’s Hidden Reverse bezeichnet worden sind, ein Pendant in Japan gehabt, dann wäre Jun Konagaya alias Grim wahrscheinlich das zentrale Flaggschiff dieser Bewegung gewesen, denn sein Interesse am Abseitigen hatte – in Ansätzen bereits bei seiner Band White Hospital – Züge des okkult-autistischen Dandyismus, die man häufig bei den englischen Kollegen beobachtete.

Nachdem Konagaya bereits einige Erfahrungen mit lärmenden Soundcollagen gesammelt hatte, entdeckte er Mitte der 80er seine Leidenschaft für das Songformat und für eine Art folkigen Pop, der Schrägheit mit gut dosiertem Kitsch verbindet, und so erschien 1986 das heute als heimlicher Klassiker geltende Album “Folk Music” auf Grims eigenem Label Eskimo Records. Zu dessen Nachwehen gehört auch die im Jahr darauf erschienene EP “Message” (ebenfalls Eskimo), die mit einer Handvoll an Gästen eingespielt wurde und jüngst von Urashima Records neu aufgelegt wurde.

Während Grims Wurzeln in der Geräuschmusik in “Folk Music” noch deutlicher zu hören waren, könnte man diese in “Message” eher subtil in einer unterschwelligen Unbehaglichkeit aufspüren, denn rein stilistisch bewegen sich die sechs Stücke fast komplett im Bereich poppig angehauchter Folk-Lullabies, in denen sanfte Gitarrenakkorde und dazu passender Gesang, bei dem nicht immer ganz klar ist, ob man gerade eine Sängerin oder einen Sänger hört, das Bild prägen. Der Opener “Heritage” startet gleich mit Picking und lieblichem Gesang, und schon in diesem Stück fällt in der gefühlvollen Mollastigkeit eine galoppierende Euphorie auf, deren verhuschte Exzentrik durch die launige Trompete gegen Ende noch einmal extra unterstrichen wird.

Jedes der Stücke hat seine eigenen Marotten: Bei “Deep in Meditation” ist es das Zusammenspiel von Walzertakt und etwas, dass wie eine Melodika klingt, bei “Parable & Cole” das Paradox einer lieblich-pastoralen Monotonie als Kulisse intimer Flüsterstimmen. Bei “Mooncalf’s Walz” der leicht verzerrte Moment zu Beginn, der aber recht schnell einer noch fiepsigeren Lieblichkeit die Tür öffnet. Diese erreicht bei “Klara’s Song” den Höhepunkt an Kindlichkeit, und trotz psychedelischer Twangs schwebt über all dem eine 80er Jahre-Stimmung, die sich neben der rauen und sicher gewollt einfachen Klanggestaltung einem Esprit verdankt, den man nicht künstlich erzeugen kann. Man sollte als weitere Klammer aber auch das leicht unbehagliche Element einmal mehr betonen – eine seltsame Weltfremdheit, die sich in den allzuschönen Arrangements bei genauerem Hinhören offenbart und den Eindruck entstehen lässt, dass dieses Idyll nicht nur von Feen und Folksternchen bevölkert ist, sondern ebenso sehr von dämonischem Gesindel.

Heute werden gerne renommierte Sängerinnen und Sänger aus Folk und Psychedelic der Jahre um 1970 genannt, wenn man sich auf Grims hier durchgezogenen Stil einen Reim machen will. Wer allerdings zu Konagayas eigener Generation gehört und mit undergroundigen Songs der 80er und 90er sozialisiert worden ist, hat vielleicht spezifischere Assoziationen, und die können von Strawberry Switchblade über frühe Psychic TV und die Legendary Pink Dots bis zu den ersten folkigen Versuchen von Current 93 oder Death in June reichen – ein merkwürdiges Kuriosum, bei dem ich nie ganz über den Gedanken hinweg komme, wie nah das alles an einem potentiellen Pop-Hype vorbeigeschlittert ist. Interessant und hervorhebenswert ist dabei, das Grim eine solche Musik bereits perfektionierte, als diese auch in Europa erst im Entstehen begriffen war.

Der Wiederveröffentlichung, die diese Songs erneut auf Vinyl präsentiert, sind einige Remixe als Bonustracks hinzugefügt – ultranoisige Versionen, die die Spuren späterer Entwicklungen Konagayas tragen, die aber die süßlich säuselnden Stimmen immer noch geisterhaft im von Lärm erfüllten Raum schweben lassen. (U.S.)