ABBILDUNGEN VARIETÉ: s/t

Zu den Gruppen aus den Ländern jenseits des eisernen Vorhangs, die in unseren Breiten gerne mit dem Stempel “obskur” versehen wurden, zählte auch das in den frühen 80ern im slowenischen Maribor gegründete Kollektiv mit dem irgendwie perfekt in die Zeit passenden Namen Abbildungen Varieté. Die Band um den Multimediakünstler Igor Zupe, der später auch mit Visuals für seine Landsleute Laibach von sich reden machte, brachte 1983 ein selbstbetiteltes Tape heraus, das überwiegend Live-Aufnahmen enthielt und damals – für alle, die es zu hören bekamen – Standards setzte mit einem Sound, der wie eine überraschend stimmige Mixtur aus postindustrieller Dystopie, martialischer Apokalypse und rituellem Mystizismus klingt. Final Muzik haben das Album nun auf CD in ihrer Eighties-Reihe herausgebracht und mit einem Bonustrack ergänzt.

Das Album startet mit dem Titel “Babilon” ein langer verrauschter Ritual Track, der an tantrische Mönchsgesänge vom Dach der Welt erinnert, wie sie schon Pasolini für einige Szenen seiner Medea-Verfilmung zweckentfremdet hatte. Während dieses Stück neben diesen vermutlich gesampelten Klängen nur minimale Soundmanipulation und dezentes Rasseln und Metallklirren einsetzt, geht es bei den folgenden Stücken wesentlich dramatischer zur Sache. “Republikanski Mars” überrascht mit furiosen Pauken und orchestrale Wucht, die einen wie eine unerbittliche Brandung überrollt. Abbildungen Variete setzen bei diesen eisig-metallischen Klängen auf eine wellenförmig auf- und abebbende Struktur, und integrieren allerlei heterogen wirkende Elemente, die oft nur bedingt verortbar sind wie z.B (russische?) Chöre. Wie um den martialischen Charakter dieser Klanglandschaft zu untermalen erklingt gegen Ende eine zackige Deklamation.

Bei Ihrem Interesse an vielfältigem Material, wissen Abbildungen Variete auch immer mit unerwarteten Details zu überraschen, die das Szenario komplett verwandeln. in “Evolution”, das als einziges Stück nicht auf dem ursprünglichen Tape, sondern auf der Compilation “84″ enthalten war, mischt sich ein gehauchter Chorgesang, wie man ihn aus Giallo-Soundtracks von Komponisten wie Bruno Nicolai oder Ennio Morricone kannte, in ein martialisches Gepauke, das jeden Martial Industrial auf seine Plätze verweist. Später versinkt alles in einer Orgie aus rauschendem Feedback. So verauscht und LoFi diese Aufnahmen sein mögen, offenbaren sie bei genauerem Hinhören doch eine gute Hand für atmosphärische Details. In “Variete” wird ein chorartiger Sound, bei dem man nie sagen kann, ob es ein gemischter oder ein rein männlicher Chor ist, in die Länge gezogen und zu einem Dröhnen transformiert, das gegen computergenerierte Detonationen und perkurssive Hektik ankämpft.

Bevor im furiosen Finale von “Max Ludwig (insert)” noch einmal alle Ingredienzien zu einer Summa und Koda verarbeitet werden, gibt es mit “Kader Urbanosti” eines der besten Stücke des Albums. Unter dem Jubeln eines verständlicherweise begeisterten Publikums ertönt ein Blasinstrument, das – ob es nun ein Saxophon oder eine Schalmei ist – wie eine Fanfare hypnotische Pauken in ihrem unerbittlichen Marsch anfeuern. Es würde mich nicht wundern, wenn Camerata Mediolanense sich gut zehn Jahre später hier ihre Inspirationen für den Track “Balcani in Fiamme” geholt haben.

Die Wiederveröffentlichung dieses Materials ist nicht nur deshalb ein großes Geschenk, weil das Originaltape lange vergriffen war. Es ist es auch deshalb, weil diese Musik, die zu einer fiktiven osteuropäischen Dune-Verfilmung gepasst hätte, eine überraschend eigenwillige Aura hat und allen gefallen sollte, die Platten von frühen Laibach, Autopsia, Officine Schwarz, Esplendor Geometrico, Sat Stoicismo, Test Dept u.s.w. (man verzeihe mir das namedropping) im Regal stehen haben. (U. S.)

Label: Final Muzik