Schon in den ersten Minuten von “Al Saher” kann man spüren, dass hier Musiker am Werk sind, die es meisterhaft verstehen, recht unterschiedliche Elemente zu einem runden, wenn auch ungewöhnlichen Ganzen zu verknüpfen. Zwischen prägnanten Donnerschlägen, die sich in regelmäßigen Intervallen wiederholen, schlängelt sich ein trancehafter Mezzo-Sppran in Arabisch in den Vordergrund, und wenn irgendwann recht plötzlich funky Gitarren und ein wildes Schlagwerk mit zischelnden Becken und kraftvollem Gerumpel losbrechen, wenn kernige Bässe den Raum füllen, Soli auf den hohen Saiten jaulen, verquere Melodien den Lärm konterkarieren und sich die Sängerin immer wieder davon scheinbar unbekümmert zu Wort meldet, entsteht der Eindruck, dass all dies in den richtigen Momenten passiert und wie für einander gemacht scheint.
“Al Saher” ist der erste gemeinsame Tonträger der aus Ägypten stammenden Sängerin Aya Metwalli und der Combo Calamita. Letztere wurde vor einigen Jahren in Beirut von dem Jazz- und Improv-Gitarristen Sharif Sehnaoui und dem in Post Punk, Rock und den dröhnenden Künsten geschulten Tony Elieh gegründet, die bereits in verschiedenen libanesischen Free Form-Gruppen wie Karkhana oder dem ‘A’-Trio zusammen spielten – zu Anfang noch mit dem Drummer Davide Zolli, dessen Platz nun von Malek Rozkallah eingenommen wurde, der bereits mit Elieh in The Scrambled Eggs gespielt hat. In Calamita erkunden und entwickeln sie eine ganz eigene Idee von dem, was Rock sein kann.
Mit der vor einigen Jahren zunächst im Live-Kontext begonnenen Kollaboration mit Aya Metwalli begann ein neues Kapitel, in welchem das Songformat noch stärker Einzug in den Calamita-Kosmos hielt. Metwalli, die vor sieben Jahren ihre erste EP herausbrachte und schnell den Stempel Avant Pop und begeistertes mediales Feedback bekam, stammt aus einer musikbegeisterten Kairoer Familie, und bereits vor ihrer formellen Gesangsausbildung tauchte sie immer tiefer in die Welt ägyptischer Populärmusik ein. Ein wichtiger Bezugspunkt dabei war, wie fast zu erwarten, die berühmte Oum Kalthoum, die auch für den vorliegenden Longplayer eine wichtige Inspiration darstellte. Die vier Stücke des Albums stammen in den mir bekannten Fällen aus dem Fundus der großen Sängerin und sind (auch) deshalb heute Klassiker der ägyptischen und generell arabischen Populärmusik. Man ahnt schon aus dem bisher gesagten, dass sie hier eine deutliche Umformung erfahren.
Man kann die Musik auf “Al Saher” sehr intensiv erleben, auch dann, wenn einem aus Mangel an Arabischkenntnissen garaniert einiges entgeht. Das von einem pochenden Trommelrhythmus vorangetriebene “El Khala Wel Dala”, entfaltet eine ungemein hypnotische Wirkung, und die Ornamente des leidenschaftlichen Gesanges tragen ebenso ihren Teil dazu bei wie die funkensprühenden Becken und die – für klischeehaft geprägte westliche Ohren “orientalisch” klingende – Melodie, die vermutlich einem elektronischen Instrument entstammt.
Gekonnt setzen die vier Musiker Spannungsmomente und überraschende Effekte ein. Das Titelstück beginnt vorsichtig tastend und entfaltet eine erwartungsvolle Statik, in der alle Klangquellen kurz anklingen und vorsichtig Richtungen andeuten, ohne sie letztlich schon einzuschlagen. Auch über diesen zunächst dünnen Teppich lässt Metwalli ihren Klagegesang wie über ein weites Tal schallen. Doch auch im Hintergrund bleibt die Musik nicht untätig und ein vielfältiges Schleifen und Rasseln und Brummen macht sich bemerkbar, irgendetwas scheint sich anzubahnen, zumindest stimmt die mit der Zeit immer verfremdetere Stimme und das groovige Knarren tiefer Basssaiten darauf ein. Irgendwann setzt tatsächlich eine stärkere Dynamik ein, und nach ein paar entgrenzten Minuten bleibt nur noch Raum für die diffuse Entrücktheit des in ein mysteriöses Halbdunkel getauchten “Kadni El Hewa”.
Das intensive Hörerlebnis sollte – trotz eventueller Sprachbarrieren und Unkenntnis der lklassischen Versionen der Songs – Grund genug sein, sich dem Zauber des Albums gegenüber zu öffnen. Ein gelungenes Projekt, das hoffentlich weiter verfolgt werden wird. (U.S.)
Label: Zehra