In den frühen 80ern gründete Stephen R. Borroughs zusammen mit Justin Broadrick und Dave Cochrane das Trio Hand of David, das einen der noisigsten Grundsteine dessen legte, das später Industrial Metal genannt werden sollte. Im Lauf der Jahre konzentrierte er sich mehr und mehr auf Soloprojekte, und neben Frag war dies seit etwas über zehn Jahren Tunnels of Āh, mit dem er einen Ritualkosmos von fast räudiger Abgründigkeit entstehen ließ.
Dass Tunnels of Ah trotz der starken Abstraktion seiner ästhetischen Konzepte ein konsequent verfolgtes atmosphärisches Thema hat, wird bereits deutlich, wenn man die mittlerweile sechs Alben, die seit 2013 auf Cold Spring und zuletzt Hypershape erschienen sind, im Vergleich hört, denn da fallen die verbindenden Elemente sehr deutlich ins Auge. Mehr noch beeindruckt einen die musikalisches Stringenz angesichts der jüngst auf Tape und Doppel-CD erschienenen Compilation “The Smeared Cloth 2012 – 2018 Unearthed”, denn hier lassen frühe Stücke und Outtakes aus verschiedenen Albumsessions ein überraschend zusammenhängendes Bild entstehen.
“The Smeared Cloth” ist nichts für Hörer, die Probleme mit Beklemmung, Dunkelheit und niederdrückender Schwere haben. Eine finstere, bedrohliche Stimmung zieht sich durch die oft kreisenden Soundgebilde, lassen durch ambiente Dröhnung, Saitenrasseln oder sirrende Streichersounds filmreife Phasen der Spannung und durch paukende und prasselnde Takte und plötzliche Schuttlawinen aufwühlende Momente entstehen, steigern sich vom subtilen Hauch eines – nur oberflächlich sanft wirkenden, in Wirklichkeit höllischen – Windes zu infernalischen Szenen von hochtönendem, schleifenden Lärm. Klangfarben von Stein und noch stärker Metall prägt das Gesamtbild, doch ist in gewissen Abständen auch immer die Illusion des Organischen spürbar, als würde das harte und kalte Material mit dürren Reiserbesen und ähnlichem traktiert. Auch die entmenschlichte menschliche Stimme ist gelegentlich zu hören, mal in Rezitation, mal als finsteres Growlen und Keifen, mal in Form eines sakralen Gesangs.
Wenn man in den 20 Stücken die Kohärenz betont, sollte man hinzufügen, dass in ihnen natürlich auch Raum für Variation ist. Sollte ich einige herausragende Stücke betonen, dann wären es wahrscheinlich “Keys King At Womb Door Again”, in welchem sich ein anfangs kaum spürbares lykanthropisches Hecheln langsam zu etwas (noch) Monströse(re)m steigert – eine Entwicklung, die vielleicht etwas vorhersehbar ist, doch die urige Soundgestaltung, die durchweg an etwas Altes, seit Urzeiten Verschüttetes denken lässt, fällt weitaus stärker ins Gewicht. Ferner “Fountain of Life”, das nach gängigem Verständnis wohl eher wie das Gegenteil seines Titels klingt und an einen zerbrochenen Brunnen erinnert, dessen Wasser ein paar Erdklumpen mit sich reißt und am Ende im Schlamm versiegt. Nicht zuletzt auch der Titeltrack, dessen Spoken Word-Passage wie das Monument eines sinnlosen Aufwands vor infernalischer Kulisse am Ende von einer Schuttlawine geschluckt wird.
Nach den über zwei dystopischen Stunden scheiden sich wahrscheinlich die Geister: Während die einen fürs erste genug gelitten haben, sind die anderen nun gewappnet für die regulären Alben des Projektes, und “The Smeared Cloth” gibt da tatsächlich einen großartigen Einblick in einen Kosmos, den ich allen empfehlen kann, die frühe Coil, alte Broken Flag-Releases und ausgewählte Death Industrial-Platten nebeneinander im Regal stehen haben.
Label: Cruel Nature / Zoharum