Seit den frühen 80ern ist der aus der Toskana stammende Gianluca Becuzzi ein musikalischer Workaholic, und vielen hierzulande ist er vermutlich am ehesten durch sein frühes New Wave- und Postpunk-Projekt Limbo bekannt, mit dem er bis ins neue Jahrtausend hinein zahlreiche Alben herausbrachte. Die Zeit um die Jahrtausendwende markierte auch eine Schwerpunktverschiebung von den zwar bisweilen experimentell eingefärbten, aber vom Hauptfokus her dennoch eher songorientierten Arbeiten hin zu abstrakteren Klangwelten, die er mit Projekten wie Kinetix, seinen Arbeiten mit dem Dröhner Fabio Orsi und nicht zuletzt auch solo herausbrachte. “We Can Be Everywhere”, das vor zehn Jahren bei Final Muzik auf CDr erschienen ist, stellte damals eine besondere Wegmarke im Rahmen seiner Soloarbeiten dar, wobei solo in dem Fall nicht heißt, dass Becuzzi das Album im Alleingang produziert hätte. Drei besondere Acts unterstützten ihn dabei in den meisten der Aufnahmen. Das eröffnende “From this Poem of Void” entstand in Zusammenarbeit mit Raimondo Gaviano alias Swart1. Hier brechen in unregelmäßigen Abständen prasselnde Noise-Kaskaden in eine Welt der Stille und scheinen andere kleinteilige Geräusche zum lauter werden zu ermutigen. Erst nach einiger Zeit wird das Ganze durch ein hintergründiges Brummen eingehegt, dennoch ist der Track atmosphärisch eher Doom-Industrial als Ambient. Einige der Klänge hier sind so gut versteckt, dass man sie leicht überhören könnte, so die hechelnden Frauenstimmen, die sich – wenn sie denn keine Fata Morgana sind – ganz tief unter der Oberfläche abhetzen. Der gleichen Zusammenarbeit entstammt “The Screaming Torso”, das gleich mit einer infernalischen Feedback-Lawine beginnt. Gefühlt hundert Details fliegen so schnell durch den Raum, dass das Resultat schon wie ein homogener Fluss wirkt, wenn man nicht innerlich das Tempo herunterschraubt – bis raues Kratzen die Illusion durchbricht. Nach einer kurzen, aber intensiven Klangwelt voll frunkensprühender Glöckchen führt die Reise durch zwei beklemmende Tracks, die zusammen mit dem neapolitanischen Duo Retina.it entstanden sind. Stetig pulsierendes Pauken, das sich zunächst im Hintergrund hält und dann von einer wuchtigen Dröhnwelle nach vorne gedrückt wird, darüber Stimmen, vermutlich von einer Lautsprecherdurchsage, abstrakte Sound-Mixturen, aus denen immer wieder Glocken an die Oberfläche dringen, dunkles Gemurmel, zirpende Insekten: Alles wird dichter mit der Zeit und offenbart eine große Vielschichtigkeit, und am Ende kulminiert alles in einer prasselnden Lärmsalve. Nach einem weiteren solo eingespielten Interludium beginnt der zusammen mit dem Klangkünstler Deison produzierte Schlussteil, der das experimentierfreudigste Material des Albums bereithält: Das Stück “Headless shadows” beginnt mit zum Teil rückwärts eingespieltem Material, das aber nur notdürftig die hypnotische Perkussion und die verquere Melodik dahinter verdeckt. Das lange “All the ghosts of my life” schließt das ursprüngliche Album noch um einiges subtiler ab, denn hier meint man eine nur leicht elektrifizierte Naturszenerie mit heranbrandendem Wasser und Vogelstimmen zu hören. Doch irgendwann bricht auch hier noch einmal die Dunkelheit in Form schriller Hochtöner, dunklem Grollen und mysteriösem metallenden Hantieren ein. Was passiert hier? Lässt hier jemand ein Geisterschiff vom Anker gehen?
Als Überraschung hat sich Becuzzi das mittlerweile fast ein Jahrzehnt alte Material erneut vorgenommen und ausgehend von einigen Samples daraus im Alleingang vier eigenständige Kompositionen gebaut, die vier Tracks mit den Titeln “We”, “Can”, “Be” und “Everywhere” umfasst. Doch was sich zum Auftakt noch wie ein Rework anmuten mag, entpuppt sich als eine weitgehend eingeständiges Bonusalbum, das mit dem ursprünglichen Longplayer nur durch Referenzen verbunden ist. Das Erkennungszeichen dieser Kompositionen ist ihr schleppender und bleischwerer Doomcharakter, dessen Infernalik nicht nur sägenden Gitarrenwänden, höllischen Twangs, wahrwitzigem Gemurmel und schleppenden Takten zu verdanken ist, sondern auch knarrenden Türen, krächzenden Flüstervocals, einzelnen Freekout-Ansätzen, trügerischen Glöckchen, gezielt eingesetzten lichten Momenten und einigem mehr. Becuzzis Repertoir ist offenkundig breit gefächert.
Die Reissue erschien bereits vor einem Dreivierteljahr und einigen der CDs sind noch erhältlich. Selbstredend empfehlen wir sie. (U.S.)
Label: Final Muzik