Donnernde Detonationen eröffnen eine beängstigende Szenerie, bohrende brummende Dröhnung wühlt das Gemüt auf, und wenn eine in ihrer Sanftheit fast irritierende weibliche Stimme immer stärker durch die räudigen Soundbrocken dringt, mag man sich fragen, wo man hier sei und was hier vorgeht. Ist es eine Übung in Akzeptanz? Eine klare Antwort kann und will die Musik auf Deep Fades neuem Album “Line of Flight” natürlich nicht geben, doch in dem begleitenden Text erfährt man einiges über die Hintergründe von Szenarien wie dem gerade beschriebenen – im Opener “Drift” intensiviert sich alles, die Melodien werden betörender, die Detonationen peitschender und das Brummen klingt mehr und mehr wie ein Säurebad.
Worum geht es also? Amanda Votta, die bereits mit Acts wie The Floating World und The Spectral Light aktiv war und als Deep Fade zusammen mit Grey Malkin und Neddal Ayad rituellen Lärm die Räume füllen lässt, stellt in “Line of Flight”, dessen Tape-Edition zusammen mit einem Fanzine erscheint, Phänomenen der Paramnesie, der bisweilen radikalen Veränderung des Ortsgefühls in unseren Erinnerungen nach. Die Atmosphäre eines Ortes, seine sinnlichen Erscheinungen und die dort anzutreffenden Gegenstände und auch Personen, all dies verändert sich im Laufe eines länger andauernden Prozesses der Abspeicherung stark gegenüber seinen ursprünglichen Formen, dass es irgendwann mehr einem Traum oder auch einer Projektion ähnelt als dem, was man gemeinhin als Realität versteht. In all dem sieht sie auch eine deutliche Parallele zu der “Verschlechterung, Aufspaltung und Verstärkung von Radiowellen dar, wenn sie auf physische Hindernisse oder Barrieren stoßen und sich für immer verändern und ihre Gestalt verändern”, wie es in den Liner Notes heißt.
Auf diese Zusammenhänge wurde Votta recht eindringlich gestoßen, als sie vor einigen jahren nach mehrjähriger Abwesenheit in ihre Heimatstadt Detroid zurückkam und, vermutlich trotz zahlreicher persönlicher und medialer Berichte doch nicht ausreichend vorbereitet, mit dem mittlerweile stark vortgeschrittenen Ruin der einst blühenden Industriestadt konfrontiert, deren ästhetische Auswirkung unter dem Label des Urban Decay gerne romantisiert und gefeiert wird, besonders von denen, die das Ganze durch das virtuelle Opernglas vom gut geheizten Apartment im neureichen Inbezirk einer austauschbaren Metropole aus betrachten.
Deep Fade dagegen versuchen sich dem Thema empathisch aus einer Art Innensicht anzunähern und richten ihren Fokus auf die betroffenen des Niedergangs, der keineswegs nur ein unvermeidlicher historischer Selbstläufer war, denn die staatliche Regierungspolitik trieb die Schließung von Produktionsstätten in der Stadt z.T, bewusst voran und pflanzte sie in suburbane Gegenden jenseits der bislang in der Industrie verwurzelten Black Community, deren gewerkschaftliche Organisationen damit ausgeschaltet werden sollten. Was danach folgte war eine anschauliche Version der sogenannten Aufwertung und Revitalisierung durch Wohn- und Gewerberaum für wohlhabende Milleus nach sukzessiver Verdrängug der bisherigen Anwohner. Reste dieser Klientel und ihrer Aktivitäten gibt es aber noch, wenngleich im Rückgang, und genau dieser verblassenden Reste widmen sich Deep Fade in ihrer Geisterarbeit, indem sie eine Auswahl ihrer geschäftigen Sounds zu einer klangkünstlerischen Kakophonie verarbeiten, die wie geschaffen ist für einen das neue Detroid störenden Spuk.
Alldem jedoch haftet, entgegen der meist eher verhuschten Konnotationen des Wortes Spuk etwas Stürmisches an, dessen Wirkung man sich schwer entziehen kann. Da wäre der kreissägenartige Sound in “Shadow Fade”, gehüllt in prasselndes Tosen und einen urzeitlichen Sound, der auch auf einer Nurse With Wound-Platte geeignet gewesen wäre, die nostalgische Feier klassischer Avantgarden zu inszenieren. Da wären die harten Soundbrocken, die in “Memory Trace” in wellenförmigen Intervallen herausgestoßen weden und sich irgendwann wie zu einem imaginären infernalischen Schrei bündeln – kratzend, sägend, schabend und prasselnd wie das geisterhafte und doch laute Echo einer verlassenen Fabrik, während undefinierbares Geröll durch den Track fliegt. Gerade Fans von Malkin dürften sich über so viel Noise wundern, aber sie sollten sich davon nicht abschrecken lassen.
Stets scheint die Musik und die sich in ihr bewegende Allegorie eines sterbenden und seine Opfer mitziehenden technischen Titans in einer fahrenden bewegung zu sein, nicht zu zügig, aber auch keineswegs im Downtempo, was die Wahrnehmung all der prasselnden und flatternden Rhythmen, der quietschenden Sounds und der hellen perkussiven Flitzer umso eindringlicher macht. Im finalen Track, der den Titel “Arise” trägt, scheint sich ein starker Überlebenswille in zahlreichen Komponenten – wuchtige Brummen, sägender Lärm, hektische Rhythmen und einem fast liturgischen Somnambulgesang – Ausdruck zu verleihen. Ob dies nun ein Hoffnungsschimmer darstellt oder ein letztes Aufbäumen, kann man vielleicht besser beurteilen, wenn man solche Szenarien aus der eigenen, wenngleich oft trügerischen Erinnerung kennt. (U.S.)
Label: Fiadh Productions