Vor einigen Jahren machte sich die Pianistin und Sängerin Maja Elliott, die viele unserer Leser vielleicht über ihre Arbeit mit Current 93 oder Simon Finn kennen, auf eine Reise ins italienische Piemont. Schnell schienen die in Nebel gehüllten mittelalterlichen Burgen, die Paläste der Metropole Turin und die Straßenkünstler und Geschichtenerzähler, die sie in ihrem Bericht erwähnt, mit ihren vielfältigen poetischen und musikalischen Prägungen zu resonieren, mit Klassik, traditionellen Musikformen aus unterschiedlichen Kulturen, Jazz und der einen oder anderen Avantgarde. In dem kleinen Ort Borgone Susa nahe der französischen Grenze lernte sie dann über Umwege den ähnlich breit interessierten Multiinstrumentalisten Marco Giaccaria kennen, und schnell ergab sich aus der stimmigen Chemie und den geteilten Interessen die Initialzündung zu einer beeindruckenden Kollaboration. Das Resultat ist das Album “Girovagabondo”, das bereits vor gut drei Jahren erschienen und nach wie vor digital erhältlich ist.
“Girovagabondo” ist eine prall gefüllte Schatztruhe, die vielfältige Einflüsse aus verschiedenen musikalischen Traditionen vereint. Schon der Titel, der auf das “Wandern” oder “Vagabundieren” anspielt, passt perfekt zur Atmosphäre der offenen Neugier, zu den abwechslungsreichen Stimmungen und farbenfrohen Klangwelten, die hier entstehen. Das Album beginnt mit dem “Chinese Song”, einem vordergründig jazzigen Stück, das mit Elliotts Klavierspiel beginnt. Über die fließenden Pianoparts legt sich die Giaccarias Querflöte wie ein Gesang, bis schließlich Elliotts eigene Stimme einsetzt und einen zarten, wortlosen Gesang beisteuert. In den unbekümmerten Tempowechseln und der angeregten Melodik entsteht ein Gefühl von Bewegung und Leichtigkeit, das an eine farbenfrohe, animierte chinesische Zeichnung erinnert, die man sich vielleicht beim Titel des Stücks vorstellen könnte.
Kraftvoll mit seinen energisch gehämmerten Tasten und dennoch angenehm kapriziös ist “Il Sorriso del Silenzio” – genau so vielleicht, wie man sich das Lächeln der Stille vorstellen mag. Ein angenehm verbummelter Flug der Flötenornamente über blühende Wiesen ereignet sich in “Papillon”, während das Klavier dazu das stabile Rückgrat bildet. Immer wieder begegnet einem in der Musik auch so etwas wie eine sanfte, leichtfüßige Nachdenklichkeit der bisweilen auch Melancholie, die jedoch immer wieder von Momenten der Heiterkeit durchbrochen wird. Oder durch energiegeladene Passagen, zu denen auch die Flötensolos zählen, die dem Atem dahinter eine Bühne geben. Manchmal wiederum erscheinen die flinken Tonfolgen auf dem Klavier wie ein schnell fließender Gebirgsbach voll runder Wackersteine und Kieseln und schafft die fast perfekte Balance aus Wehmut und Gelöstheit. Besonders eindrucksvoll sind die Stücke, in denen Maja Elliotts Gesang im Vordergrund steht. In “Truth” hat ihr leicht heiserer, folkig eingefärbter Sopran seinen großen Auftritt, der eine bewegende Miniatur von berührender Intimität schafft. Im entrückten “An Sagairtín” und dem dramatischen “Marcus” erreicht ihre Stimme eine besondere Klarheit, während Giaccarias furioses Flötenspiel kraftvoll seinen Teil zur emotionalen Tiefe des Stücks beiträgt. In “Morning Breeze”, dem abschließenden Stück des Albums, ziehen Elliott und Giaccaria noch einmal alle Register. Die beiden wirken hier beinahe wie eine üppige Combo, obwohl es sich nur um zwei Personen handelt. Die dichten Texturen der Musik schaffen eine reiche, fast orchestrale Atmosphäre.
Maja Elliott auf Entdeckungsreise in Piemont und zu Besuch bei dem einheimischen Marco Giaccaria, dessen kreative Fantasie, bestens vertraut mit der Umgebung, immer wieder in ferne Regionen schweift – eine Konstellation, die beim Hören immer mehr auch ihren Niederschlag in den Songs auf “Girovagabondo” findet, einem Album, das wie eine von morgendlichen Sonnenstrahlen durchflutete Entdeckungsreise anmutet und dennoch ein starkes Gefühl von Vertrautheit vermittelt. Warum eigentlich eine derart späte Besprechung? Weil man – selbstredend – guter Musik niemals zu spät begegnen kann, und weil Elliott vor kurzem ihr kommendes Album “Waterfall” angekündigt hat, was allemal ein Anlass ist, in ihrem Backcatalogue zu stöbern. (U.S.)