Nicht oft wird man derart unverhofft ins Zentrum eines turbulenten Geschehens geworfen wie auf “Changing Images”, dem knapp sechsminütigen Lärmbrett, mit dem das Duo Naked In The Zoo sein erstes Vinylalbum eröffnet. Auf dem “Gehirnschubladen” betitelten Werk machen Teresa Riemann (Drums, Stimme) und Ruben Tenenbaum (Violine, Stimme) was sie vielleicht am besten können: Sie katapultieren die Grenzen von Noise Rock, Art Brut und surrealer Musik in ungekannte Dimensionen.
Die beiden, die vor sechs Jahren zusammen debütierten und vor einigen Monaten bereits ein weiteres Studioalbum, das wohl eine Weile in der Schublade der Dinge harrte, herausgebracht hatten, beschreiben sich und was sie tun als “poetry carved into stone, holes cut into the borders that surround our bodies and our consciousness” – eine zutreffende Beschreibung für das rohe, überwältigende und zugleich tiefgründige Klanguniversum, das sie erschaffen. Der auf den ersten Eindruck launig anmutende Bandname verweist dabei wohl auf ein Gefühl von Ausgesetztsein und Exponiertheit, das in der Musik auch immer wieder thematisch durchscheint.
Das Album, aufgenommen während eines schweißtreibenden Live-Sets im Berliner Ausland, präsentiert sechs Tracks, die von roher Energie und kompromissloser Dynamik strotzen. Mit einer Mischung aus ekstatischer Intensität und einigen von allzu fragilen Gemütern vielleicht überhörbaren subtilen Nuancen formt “Gehirnschubladen” eine Art surrealen Klangfilm, der sich zwischen improvisierten und komponierten Elementen entfaltet und eine dichte, trotz der aggressiven Wucht hypnotische Atmosphäre entstehen lässt.
Der genannte Opener präsentiert ein auf den ersten Blick wild anmutendes Zusammenspiel von entfesselten Drums und elektrifizierter Violine. Riemanns charakteristische rhythmische Energie wird von ihrer im Vergleich dazu fast stoischen und momenteweise trunken wirkenden Stimme ergänzt, während Tenenbaums Violine zeigt, wie vielseitig dieses oft unterschätzte Instrument im Noise-Kontext sein kann. Die rohe Energie erinnert an ein permanentes Hämmern gegen die Grenzen des Machbaren. Mit “I Go to Libraries and Burn Cities” steigert das Duo die Intensität. Die Violine erzeugt ein kernig dröhnendes Feedback, während die Drums in hektische Freakout-Muster verfallen. Der Gesang, von dem Riemann meist den Löwinnenanteil übernimmt, ist gebrochen und zurückhaltend, fast als wolle er die fast physisch greifbare Wut sublimieren, statt sie direkt auszudrücken – selbstredend steigert das nur die Intensität des Ganzen auf beeindruckende Weise, und so endet das Stück dann auch in der kaum überraschenden Eskalation, die – zusammen mit kurzen Publikumsgeräuschen – die Live-Herkunft des Albums unüberhörbar macht.
“Subtle Trepanation” wirkt alles andere als subtil, hier vermengen sich donnernde Percussion, funkenschlagende Becken und ekstatische Schreie mit einer Aura des Dystopischen, bei der der Sprechgesang, zwischen grotesken Akzenten und melodischen Momenten, immer wieder ins Abgründige kippt. Der Titel “Hertzsog gen Labyrinth” nimmt mit monotoneren Momenten eine hypnotische Qualität an. Die Violine summt, und die Stimmen umschlingen sich zu einem Zopf und verschränken sich dabei in einem leiddurchtränkten Duett. Trotz der scheinbaren Eskalation der Klänge liegt hier eine faszinierende, mit etwas Fantasie beinahe kontemplative Ruhe in der musikalischen Dynamik.
Mit “Synaptisches Wirrwarr” zeigt das Duo eine vom Sound her luftigere Seite. Hektische, minimalistische Drums und gehauchte Stimmen eröffnen den Track, der dennoch die brutale Energie des Rahmennarrativs bewahrt. Das Stück hat etwas von einem letzten Aufbäumen, einem kraftvollen Ausatmen, bevor das Finale beginnt: “I Am Not Your Eyes” ist ein breiter, noisiger Klangteppich, der vordergründig statisch wirkt, tatsächlich aber voller Veränderungen steckt. Teresa Riemanns Stimme schwingt in verschiedenen Tonhöhen, während die Musik in eine finale Eskalation mündet, die sowohl erschöpfend als auch befreiend wirkt. Selbstredend kommt man nicht umhin, die Platte gleich noch einmal aufzulegen, denn neben dem hypnotischen Effekt besteht hier durchaus ein gewisses Suchtrisiko.
Erschöpfend und befreiend, feinsinnig und brutal, eskalierend und kontemplativ, hypnotisch repetitiv und doch voller Überraschungen – Naked In The Zoo erkunden hier die Schubladen eines Hirns, das ohne je mit platten Kontrasten zu nerven zahllose Gegensätze (oder was vom Volksmund so genannt wird) unter einen Hut bringt, und genau diese genretechnisch kaum verortbare Kombination aus wütendem Lärm, poetischer Groteske und technisch versiertem Spiel macht dieses Album zu einer so lohnenden Erfahrung. Hauptstadtkinder und Reisefreudige können diese Erfahrung in wenigen Tagen auch live machen. (U.S.)
Label: Edelfaul