Mit “Lux Tenera – A Rite to Joy” präsentieren Die Wilde Jagd, das Bandprojekt des mit Noblesse Oblige bekannt gewordenen Musikers und Produzenten Sebastian Lee Phillipp, und das Metropole Orkest unter der Leitung von Simon Dobson eine beeindruckende Fusion aus psychedelischer Experimentierfreude und orchestraler Wucht. Die Komposition, die als Auftragsarbeit des Tilburger Roadburn Festivals entstand und im vergangenen Sommer dort aufgeführt wurde, vereint elektronische Elemente, orchestrale Dichte und ungewöhnliche Instrumentierungen zu einem vielschichtigen, dramaturgisch durchdachten Gesamtwerk.
Bereits im einleitenden Stück entfaltet sich eine Atmosphäre subtilen Knisterns und schwelender Spannung, bevor sich in “Funken aus Kosmischer Flamme” erste repetitive Klaviermotive mit sakralen Bläsern und einsamen Glocken vermengen und sich zu den zischelnden Sound gesellen. Das ist eine Musik, die in der Krautrock-Ära sicherlich für Aufsehen gesorgt hätte und das auch in unseren Zeiten vermag. Schon hier macht sich bereits eine cinematische Qualität bemerkbar, bei der Aspekte der Zeitorganisation zur Spannung und Intensität beitragen, mit Verzögerungen gearbeitet wird und zugleich alle Details, wie es scheint, an den richtigen Stellen plaziert sind.
Immer wieder greifen einzelne Stücke auf rituelle Elemente zurück: “Kabura-ya” beginnt in fast meditativer, kosmisch-ambienter Ruhe, unterlegt mit poetischer Rezitation überdie unterschiedlichsten Geheimnisse – ein Ozean im Ozean, auf den sanfter Regen fällt, über die Poesie in jedem Donnerschlag und die Zärtlichkeit, die vertseckt in jedem Gewaltakt schläft so wie das romantische Lied in allen Dingen. Im Grunde ist das die Philusophie des Tantra in einer Nussschale. Nach und nach treten Percussion und gestrichene Saiten hinzu, bis das Arrangement schließlich in eine eruptive Steigerung mündet. Die jüngeren Alben von Lili Refrain kommen mir da unweigerlich in den Sinn, und wenn das Wünschen so einfach ginge, gäbe es dank dem Rezensenten bereits eine vielversprechende Kollaboration dieser Acts.
Der rund zehnminütige “Pan-Song” setzt inmitten eines brodelnden Geschehens an. Donnernde Pauken und das knarrende Timbre einer Tuba verleihen dem Stück eine düstere Würde, die sich jedoch nicht in durchgehender Wucht entfaltet, vielmehr bleibt die Komposition über weite Strecken zurückgenommen, getragen von sanft gleitenden Streichern, subtilen Beckenklängen und einer englischsprachigen Rezitation, die eine ganz eigene Dynamik entfaltet: Es scheint, als würden verschiedene körperliche und geistige Funktionen als eigenständige Stimmen auftreten und sich gebündelt an das Subjekt wenden, das sie hervorbringt. Die Inszenierung ist bewusst theatralisch, seine Dramaturgie folgt einem langsamen Aufbau, der unweigerlich nach einer großen Bühne verlangt.
Die Carnyx, ein keltisches Kriegsinstrument, kommt besonders im abschließenden “The Balance of Isidor” zur Geltung und sorgt für archaische Bläserakzente inmitten eines Stücks, das sich von zarter, verfremdeter Rezitation hin zu einem orchestralen Höhepunkt mit drängenden Snaredrums und Western-Soundtrack-Anleihen aufbaut. Dazwischen setzt das Album auf dynamische Kontraste, etwa mit dem sensiblen Klavierintermezzo, das an Gurdjieff und de Hartmann erinnert, oder dem verstörenden “Sinusoidal Sweep”, das mit einem in steter Veränderung begriffenen und zum Ende hin nervenaufreibendem Sinuston, der für Momente sogar an den Schrei eines Säuglings erinnert, das Ohr herausfordert.
Die Musik von Die Wilde Jagd bleibt auch hier ihrem konzeptuellen Ansatz treu: Wiederholungen und Variationen einzelner Elemente schaffen eine tiefgehende Atmosphäre, in der sich elektronische Effekte, orchestrale Farben und gezielt platzierte Klangdetails in einem sorgfältig ausbalancierten Verhältnis begegnen. Trotz aller Opulenz und Theatralik wirkt nichts überladen oder beliebig – jedes Arrangement ist exakt bemessen, jeder Spannungsbogen wohlüberlegt.
“Lux Tenera – A Rite to Joy” ist ein Album, das sich Zeit nimmt, seine Intensität stetig bis hin zu wilden Eruptionen steigert und in seinen besten Momenten eine fast tranceartige Wirkung entfaltet. Nach dem abrupten Ende bleibt das Gefühl, dass hier ein abgeschlossenes Werk entstanden ist, das man erst einmal sacken lassen muss, bevor man etwas anderes auflegt. (U.S.)
Label: Bureau B