NOÉMI BÜCHI: Liquid Bones

Im buchstäblichen wie im metaphorischen Sinne sind Knochen wohl der Teil unseres Organismus, den man sich am unwahrscheinlichsten im Zustand der Verflüssigung vorstellen kann. Ein Release, das ein derartiges Oxymoron bereits im Titel trägt, lässt also einiges an ungewöhnlichen Klängen erwarten – Erwartungen, nur soviel vorweg, die Noémi Büchi mit ihrem digitalen Mini-Album “Liquid Bones” keineswegs enttäuscht. Die Klangkünstlerin mit Wurzeln in Frankreich und der Schweiz, bekannt für ihre elektroakustischen und orchestralen Kompositionen, bewegt sich auf dieser fünf Tracks umfassenden EP in neue, leichtfüßiger wirkende Klangwelten, ohne die für ihre Musik charakteristische Komplexität und Experimentierfreude aus den Augen zu verlieren. Ebensowenig eines der zentralen Themen, nämlich die stete Verflüssigung von Formen.

Im Mittelpunkt steht diesmal das Klavier, ein Instrument, das Büchi seit fast zwei Jahrzehnten begleitet und hier als äußert wandlungsfähiges Element dient. Es tritt in den Kompositionen in vielfältiger Gestalt auf – mal als melodieführende Motivgeberin, mal als Quell perkussiver Strukturen oder als atmosphärische Grundlage, auf der immer wieder Neues entsteht. Kombiniert mit minimalen elektronischen Details, orchestralen Klängen und präzise eingesetzten Geräuschakzenten entsteht eine dynamische und facettenreiche Arbeit, die sowohl intime Momente als auch überraschend monumentale Passagen umfasst.

Der Opener “In the Heat” beginnt mit aufgewühlten, zitternden Klängen, die unmittelbar in den Bann ziehen. Monumentale Elemente treffen auf feinfühlig verspielte Goldregen auf dem Klavier, hochdröhnende Ornamente und metallene Perkussion, die zusammen eine sensitive Aura und eine unüberhörbare Verzücktheit einbringen – und die ganz nebenbei auch für die im Titel genannte Hitze wappnen, die alle Formen zum Schmelzen bringt, bis sich neue bilden. Die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Klangfarben sind – passenderweise – fließend und zeugen ganz nebenbei auch von Büchis kompositorischem Händchen. “Gesticulate Elastically” beeindruckt mit seinem temporeichen Rhythmus, in dessen Zentrum sich manch widersprenstige Details verbergen und der trotz seiner Energie eine verspielte Leichtigkeit bewahrt. Der Titel und die dazu passende Elastizität vieler Sounds korrespondieren perfekt mit der organischen, flüssigen Klangästhetik der gesamten EP.

In “Their Bodies” erzeugt Büchi schwindelerregende Klangmuster, die sich zwischen entrückten, schimmernden Synthiesounds und metallenen Klappergeräuschen bewegen. Dieser Track verkörpert besonders stark das Konzept von Bewegung und Wandel, das sich durch das gesamte Album zieht. “Disappointing the Desire to Last” betont diese Vergänglichkeit und Veränderlichkeit, die Absage an den Wunsch nach etwas Dauerhaftem, nicht nur im Titel, sondern auch mit bewusst gesetzter klanglicher Unordnung, die zu einem krackseligen Tanz auf Stelzen lädt und die Erfahrung zwischen Spannung und Fragilität hält. Den Abschluss bildet “Fair Enough” mit der verfremdeten und dennoch poetischen Stimme von Joséphine de Weck, die Büchis Konzept vor veränderlicher Klangkulisse, in die sich auch das Klavier wieder einmischt, durch eine intime, atmosphärische Ebene erweitert. Die von klopfenden Takten geprägten Klänge fügen sich in den Fluss der vorherigen Stücke ein und runden das Album mit einer schlichten, aber eindringlichen Eleganz ab.

“Liquid Bones” ist ein beeindruckendes kleines Werk, das die Vergänglichkeit und Wandelbarkeit von Klängen und Formen erforscht und in erweiterter Form in jedem Fall auch das Zeug zu einem Album gehabt hätte, und wer weiß, vielleicht greift Büchi einige der Ideen daraus an anderer Stelle noch mal auf. Das ist aber auch keineswegs als Wermutstropfen gemeint, denn “Liquid Bones” ist wie es ist ein mehr als überzeugendes ästhetisches Statement.

Label: -OUS