ANDREA CAUDURO: Without People We Are Nothing

Im Laufe von gerade mal gut vier Minuten spielt sich im Kleinen eine ganze Welt an Ereignissen ab – eine entspannte, noch kaum elektrifizierte Gitarre pickt leise zum Auftakt, gewinnt bald an Verstärkung und Dynamik und prescht lost. In ordentlichem Tempo scheint sie das begleitende Dröhnen erst zu erzeugen, gegen das sie sich wie gegen einen soliden Fahrtwind behauptet, lässt dezentes Feedback aufjaulen, ebenso wie kleinere klingelnde Ornamente und einiges mehr. Wenn der Sound von “Paul andiamo al parco”, das den Auftakt von Andrea Cauduras “Without People We Are Nothing” bildet, erst einmal in seiner vollen Breite angekommen ist, zweifelt niemand mehr daran, dass das lyrische Ich, das von niemand Geringerem als eben der Gitarre wie von einem meisterhaften Schauspieler verkörpert wird, sein Ziel erreicht.

Caudura, ein aus Rom stammender und heute in der italienischen Musikhochburg Turin lebender Komponist und Klangkünstler, hat mit seinem neuen Longplayer, dessen ultralimitierte Edition einen Siebdruck enthält, ein kleines Konzeptalbum kreiert, das die fundamentale Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen feiert. Ohne Mitmenschen, so könnte man das kongeniale Artwork paraphrasieren, ist man wie ein amputiertes Wesen mit halben Gliedmaßen, das resigniert vor einem Instrument sitzt, dem es keine Töne mehr zu entlocken vermag. Jedes der vier überwiegend instrumental gehaltenen Stücke ist, wenn man den Songtiteln folgt, einer mit dem Künstler befreundeten Person und einer gemeinsamen Situation gewidmet, dass im Opener vermutlich der hier auch als Tontechniker in Erscheinung tretende Paul Beauchamp andressiert ist, mit dem Cauduro nicht zum ersten mal zusammenarbeitet, passt einmal mehr zum Covermotiv, und auch dass mit Fabrizio Modonese Palumbo und Tiziano Teodori zwei weitere Freunde Cauduros an den Aufnahmen beteiligt sind, schlägt in die gleiche Kerbe.

Im folgenden “Tiziano attento con quell’ascia” wird (vermutlich genau dieser) Tiziano Teodori zur Vorsicht im Umgang mit einer Axt gemahnt, was hoffentlich gefruchtet hat, der Track jedenfalls mit seinen leicht verzerrten Anschlägen auf dem Jazzbesen, seiner luftig verrauschten Soundhülle und in steten Intervallen auftretenden psychedelischen Synthies, zwischen denen man die Gitarre zunächst eher minimal erkennt, beschränkt sich zunächst auf eine eher tastende Dynamik und scheint so der Vorsicht durchaus Rechnung zu tragen. Irgendwann tritt auch das elektrifizierte Saitenspiel deutlicher ins Zentrum, die Percussion gewinnt an Markanz und das Stück entfaltet vor der imaginären Leinwand ein hörspielartiges Darkjazzszenario in einem verwunschenen Grenzland, in dem man auch damit rechnet, Bohren und der Club Of Gore oder Satan Is My Brother über den Weg zu laufen. In “Alice vola nell’universo” fliegt Alice ins Universum, und bevor man sich überhaupt fragen könnte, woher sie eigentlich kommt, ist man schon in einen enorm hypnotischen, vibrierende, knarrenden Dröhnkosmos gezogen, in welchem man für eine knappe Viertelstunde baden und sein ganz persönlichen Zeitkonzept neu ausrichten kann.

Aus dieser Hypnose könnte einem nichts besser aufwecken als das gerade mal zweieinhalbminütige “Fabrizio grazie per la profonda leggerezza” – ein genau die profunde Leichtigkeit, für die hier gedankt wird, verkörperndes Stück, das vielleicht besser als alle anderen Momente des Albums die unterschiedlichsten stilistischen Versatzstücke, Anleihen aus Blues, Garage, Funk, die allesamt eine Fata Morgana im verwirrten Geist des Rezensenten sein könnten, unter einen Hut bringt, als wären sie genau so füreinander geschaffen. Auf eine komplett andere Art ist auch “Gabriele, detto Mimmo, la gioia di ritrovare lui e la sua estetica anni ’90″ mit seinen aufeinandergeklebten Schichten aus wunderbar melodischen Gitarren, kreisenden Synthies und programmierten Takten nicht nur eine Feier der 90er-Jahre-Ästhetik eines Freundes sondern auch ein weiterer Ausweis von Cauduros Meisterschaft der Kombinatorik.

Mit “Emilia insegnami a ballare”, einer dröhnenden Hommage an eine Tanzlehrerin namens Emilia geht es zum Abschluss noch mal soundmäßig in die Vollen. Wenn Tanz und Dröhnung in einem Satz genannt werden, impliziert das bereits Ungewöhnliches, und ein genau solches entfaltet sich hier auch über faszinierende zwölfeinhalb Minuten: Durch wehmütige Abschiedswellen, die vielleicht mit Bogen gestrichenen Gitarrensaiten entstammen, ziehen sich seltsam unheimliche Details knackernder, gluckernder, plätschernder Art – den Tanzschritt geben dennoch die Gitarrenfiguren vor, die irgendwann hinzukommen, begleitet von den nun auch endlich hörbaren Vocals, die das Szenario summend und flüsternd begleiten. Großartig! (U.S.)

Label: Chiærichetti Æditore Ræcordings