NOUR SOKHON / STEFAN CHRISTOFF: Beyond All Borderlines

Das Album “Beyond All Borderlines” der in Berlin lebenden libanesischen Klangkünstlerin Nour Sokhon und des in Kanada ansässigen mazedonischen Medienkünstlers Stefan Christoff ist eine eindringliche Auseinandersetzung mit Themen wie Herkunft, Identität und Entfremdung. Es verbindet experimentelle Soundkunst mit feinsinnigen Klavierimprovisationen und einer dichten Schichtung von Field Recordings. Die Aufnahmen aus Libanon und Deutschland, kombiniert mit alltäglichen Klangfragmenten wie Telefonklingeln, Tastengeräuschen oder Trolleyrädern, erschaffen eine dichte akustische Welt, die zwischen Fragilität und intensiver Aufgewühltheit schwankt.

Die einzelnen Stücke sind durch ihre detailreiche Ausarbeitung und stetige Veränderung gekennzeichnet. So beginnt “Circular Transmissions” mit einer deutschsprachigen Mailboxstimme, umrahmt von elektronischen Klängen und subtilem Klavierspiel, das im Verlauf des Albums immer wieder zu einem zentralen Element wird. Das Stück “A Shadow Signal” greift ähnliche Motive auf, ergänzt sie jedoch um eindringliche Piano-Phasen, die zwischen Melancholie, Neugier und Spannung changieren. Immer wieder tauchen Geräusche auf, die an Computer, Radios oder urbane Klangwelten erinnern – verfremdet, vielschichtig und stets von einem improvisatorischen Ansatz geprägt.

Besonders beeindruckend ist, wie das Album, das ein mehr oder weniger überschaubares Set an Motiven zu immer wieder neuen überraschenden Kollagen und Stimmungsbildern zusammenfügt, einen zu bannen vermag, etwa in “Where Are You From?”, das den einen oder anderen vielleicht an frühe Tape-Experimente von Komponisten wie Xenakis erinnert. Hier verschmelzen knirschende, metallene Geräusche, die wie über einen steinernen Boden gezogen anmuten, mit sprachlichen Fragmenten und einer dramatischen Klaviermelodie, die – nicht nur in diesem Stück  -den Verfasser dieser Besprechung an die allerlei Traditionen aufsaugenden Werke von Gurdjieff und De Hartmann erinnert (Christoffs Piano war bei uns bereits Thema im Kontext seiner Zusammenarbeit mit Aidan Baker). Die Stimme von Nour Sokhon tritt in diesem Stück besonders hervor – rezitativ, repetitiv und durchdrungen von einer theatralischen Spannung und Dringlichkeit, und auch durch diesen Aspekt fällt immer mehr Licht auf das internationale und interkulturelle Sujet, das sich wie ein roter Faden durch das Album der beiden weitgereisten Künstler zieht und eine immer stärkere konnotative Färbung bekommt, ohne dabei in ein allzu klares Statement zu münden.

Die aufgewühlte Intensität des Albums steigert sich ganz offenkundig in “Harmonics at Sea”, das mit explosionsartigen Klängen, zerberstendem Glas und dem davon scheinbar unberührten und somit stoisch wirkendem Klavierspiel ein beängstigendes, martialisches Szenario entwirft. Das Zusammenspiel von Chaos und Ordnung, von scheinbar improvisierten Sounds und sorgfältig ausgearbeiteten Strukturen zieht sich wie ein weiterer roter Faden in einem leitmotivischen Geflecht durch das gesamte Werk. Selbst in ruhigeren Momenten wie “No Silence”, wo das Klavier, das stets wie ein starker und doch enigmatischer Kommentar zu den restlichen Komponenten anmutet, besonders klar und hypnotisch hervortritt, bleibt die Spannung erhalten.

Den Abschluss bildet “Cascading Effects”, ein Stück, das keine endgültige Auflösung bietet, sondern sich nochmals aufbäumt und mit Stimmen, Rauschen und kräftigen Klavierklängen eine nachhaltige Wirkung hinterlässt. Die Musik verzichtet bewusst auf einfache “Erklärungen” und fordert vom Hörer, sich auf die klanglichen Ebenen und subtilen Erzählungen einzulassen.

“Beyond All Borderlines” ist ein forderndes, tiefgründiges Album, das durch seine emotionale Ernsthaftigkeit und die meisterhafte Verwebung von Klangdetails beeindruckt. Sokhon und Christoff haben hier ein Album entstehen lassen, das nicht nur herausfordernd ist, sondern auch durch seine klangliche Schönheit und narrative Dichte enorm berührt. (U.S.)

Label: Ruptured