Eine je nach Definition fünf- oder sechsteiligen Reihe namens “QuarkTonal: Quatrains” des iranischen Komponisten und Musiktheoretikers Ehsan Saboohi erscheint gerade bei Post Orientalism Music. Diese Werke repräsentieren eine innovative Verbindung von Musik, Physik, Digitaltechnik, Poesie und der Relativität von Zeit, die Saboohi als “QuarkTonal” bezeichnet. In seinem begleitenden Text, der sich über die einzelnen Teile fortsetzt, beschreibt er die Sammlung als “eine scheinbar verstreute und komplexe Meditation, in der multiple Diskurse des Bewusstseins und diverse Facetten der Wissenschaft [...] konvergieren”.
Der erste Teil, “QuarkTonal: Quatrains Vol. 1″, enthält unter anderem den Track “First Recording”, der durch schrilles Feedback, verzerrten Lärm und ekstatische Drums gekennzeichnet ist. Eine weibliche, KI-generierte Stimme rezitiert dabei in neutral wirkender Intonation Übersetzungen von Omar Khayyams Vierzeilern, die bereits in “Q: Time Machine” ein Thema waren, wodurch ein spannungsvoller Kontrast zwischen der wenig emotional anmutenden Rezitation und der intensiven Klangkulisse entsteht. Im zweiten Teil, “QuarkTonal: Quatrains Vol. 2″, setzt Saboohi seine Erforschung der QuarkTonal-Theorie fort. Diese basiert dem Komponisten zufolge auf einer 600-Ton-Struktur, wobei jeder “Quark” als 2 Cent definiert ist. Dieses präzise und mathematisch exakte System ermöglicht die Schaffung neuartiger Melodien, Harmonien und musikalischer Formen. Saboohi betont, dass Zeit in diesem System als relatives Phänomen wahrgenommen und in jedem Moment neu definiert wird.
Die Covergestaltung des ersten Teils stammt vom renommierten iranischen Künstler Reza Abedini, dem Saboohi diesen Band widmet, der zweite Teil ist Dave Seidel gewidmet, der den Kompositionsprozess als kreativer Zuhörer und Begleiter unterstützt hat. “Vol. 3″ verstärkt vordergründig den noisigen Charakter der Reihe mit durchdringenden, hochfrequenten Klängen, die sich über einer weiterhin stoischen, KI-generierten Rezitation entfalten. Inhaltlich setzt sich dieser Teil mit der Frage auseinander, was das Präfix „micro“ in „microtonal“ eigentlich bedeutet, und welche ideologischen Implikationen damit verbunden sein können. Der Text verknüpft dies mit einer kritischen Betrachtung gesellschaftlicher Kategorisierungen und der Art, wie Gruppen oder Identitäten auf eine “mikroskopische” Größe reduziert werden. Zwischen provokativer Zuspitzung und analytischer Schärfe wird die Problematik einer normierenden Wissenschaft und ihrer Definitionshoheit über Musik und Wahrnehmung thematisiert. Dabei bleibt der Sound ebenso unruhig und vielschichtig wie das zugrunde liegende Konzept.
Mit “Vol. 4″ wird die Auseinandersetzung mit den Begriffen “Mikrotonalität” und “Mikro” fortgeführt, diesmal aus einer anderen Perspektive. Während die westliche Musikwissenschaft und moderne mikrotonale Strömungen mit wissenschaftlicher Präzision arbeiten, werden in der Heimat des Komponisten unbestimmbare Einheiten oft als mikrotonal bezeichnet mit einer fast sakralen, aber zugleich restriktiven Bedeutung. Improvisation, die oft als Ausdruck östlicher Mystik verstanden wird, erscheint hier weniger als künstlerische Freiheit denn als gedankliche Einschränkung, die Pluralität und Reflexion unterdrückt. Vor diesem Hintergrund skizziert Saboohi die Idee eines alternativen Systems der Frequenz- und Zeitmessung: das “Quark-Tonal System”, das metaphorisch an physikalische Grundbausteine anknüpft.
“Vol. 5″ schlägt auf den ersten Eindruck einen wärmeren, ruhigeren Ton an und dient als methodischer Abschluss der Reihe. Hier wird der programmierte Ansatz des Projekts erläutert: Über Jahre hinweg entwickelte Saboohi eine in Python geschriebene “Q Time Machine”, die mit jedem Durchlauf eine neue Interpretation erzeugt. Diese algorithmische Strukturierung spiegelt die Grundidee des Quark-Tonal-Systems wider, indem sie flexible und sich stets verändernde Klanggestaltungen ermöglicht. “Vol. 6″ fasst schließlich alle 75 Quatrains der fünf vorherigen Folgen in einer einzigen Aufnahme zusammen. Auf klangliche Nachbearbeitung wurde bewusst verzichtet, um die Ergebnisse der “Q Time Machine” unverfälscht zu belassen. Zudem enthält die Veröffentlichung eine neu strukturierte Lesart von Omar Khayyams Text in Buchform, die die konzeptionellen Hintergründe des Werks ergänzt.
Mit “QuarkTonal: Quatrains” präsentiert Ehsan Saboohi eine ambitionierte Sammlung, die darauf abzielt, komplexe theoretische Grundlagen zu enthüllen, die über bisherige Paradigmen hinausgehen, und ihre fließenden Strukturen über verschiedene Wissenschaftsbereiche hinweg nachzuzeichnen.