Die Vogelwelt ist ein wesentlicher Bestandteil der Mythen der britischen Inseln, und es würde überraschen, wenn dies sich nicht auch im Kosmos folkig angehauchter, bisweilen abseitiger Musik abzeichnen würde, und einige Bespiele aus diesem Motivkomplex – Songs wie “The Cuckoo” oder “The Cutty Wren” – haben längst ihren Weg über England und Schottland hinaus gefunden. “A Colloquy of Birds”, das bereits vor einigen Jahren entstandene gemeinsame Album von Alison O’Donnell und Gayle Brogan, bietet eine tiefe Auseinandersetzung mit den reichhaltigen Vogelmythen der Inseln. Die beiden Musikerinnen – O’Donnell, bekannt aus Mellow Candle, und Brogan, die als Pefkin für rituell anmutende Klangwelten geschätzt wird – haben sich ausgiebig mit alten Legenden rund um Vögel beschäftigt. Ihre Recherchen stützen sich auf eine Vielzahl von Quellen, darunter literarische Werke u.a. zur keltischen Folklore. Das Ergebnis ist eine Sammlung von Songs, die sich oft miniaturhaft zwischen filigranem Folk und atmosphärischen Soundscapes bewegen.
Schon der Titel des Albums weckt Assoziationen – er erinnert an das persische mystische Epos A Conference of the Birds, das ebenfalls in musikalischen Kontexten, etwa bei der Band OM, als Inspiration diente. Die Musik von O’Donnell und Brogan jedoch greift nicht nur spirituelle Motive auf, sondern vermittelt ebenso die enge Verbindung zwischen Naturbeobachtung und menschlicher Vorstellungskraft. Viele der Stücke entfalten sich schrittweise und lassen organische Strukturen entstehen, in denen sich akustische Instrumente mit subtil eingesetzter Elektronik verweben – eine Seite des Albums, die auch durch die Mitwirkung illustrer Gäste, namentlich Alan Davidson (Kitchen Cynics), Grey Malkin (Brogans Kollaborateur in Medaowsilver) und David Colohan, gewinnt.
Der eröffnende Titel “Nocturnal Raptor in Silent Flight” macht gleich deutlich, worum es über weite Strecken des Albums geht: Die beiden Stimmen – forsch, heiter und aufgeweckt – setzen a cappella ein, bevor sich Gitarrenfiguren und weitere Instrumente hinzugesellen. Die Texte erzählen von Vögeln als Zeichenleser und Vermittler verborgener Botschaften. “Egg on a Silver Platter” hebt sich, nach dem besinnlicheren “Superior Upon The Air” durch die warme, dröhnende Klangfläche eines Harmoniums hervor, über welcher der von einem anrührenden lockenspiel akzentuierte Gesang, wie in einigen weiteren Passagen, fast musicalhaft erscheint, jedoch ohne jede Künstlichkeit. Und wie in vielen der Lyrics wird hier in kleinen Szenen eine Welt eschrieben, die oft übersehen wird. Besonders hypnotisch gelingt “The Blessed Stain”, das mit einem flirrenden Flötenton verzaubert, in den sich bald ein mehrstimmiger, fast chorartiger Gesang fügt und eine entrückt, beinahe trancehafte Atmosphäre mit viel Kolorit entstehen lässt. Ähnlich eindrücklich und eindringliche ist das bereits vorab veröffentlichte “In May You Sing All Day”, das sich um den Kuckuck und seine symbolische Bedeutung dreht. Die Melodie wirkt verträumt und überweltlich, während der Text ein altes Kinderreim-Schema aufgreift, das den zyklischen Jahresverlauf des Vogels nachzeichnet.
Mit “Life Within the Cold Shell’s Exterior” nimmt das Album eine unerwartete Wendung. Hier steht die Elektronik stärker im Vordergrund, der Gesang wird von Brogan zunächst allein getragen, bevor sich beide Stimmen kunstvoll wie ein Zopf ineinander verschlingen. Streicher verstärken die melancholische Aura des Songs. „The Pages of St Bride“, eines der Stücke, die eine Seefahrerthematik anklingen lassen, kombiniert trillernde Effekte mit Gitarren und sanftem Keyboard-Fundament, was eine filmische Wirkung entfaltet und einen der Höhepunkte des Albums entstehen lässt. Auch „Raised By Toad and Frog“ folgt einem eher spielerischen, theatralischen Ansatz, bleibt dabei aber im typisch cinematischen Klangbild verhaftet. Gegen Ende wird es noch einmal vielschichtig: “Winged Sages” setzt einen ruhigen, liebevollen Akzent, während der Text düstere Vorzeichen beschreibt. “Crow Before the Lowering of the Sun” erzählt vom Schicksal eines Hahns zum St. Martinstag und wird von wogenden Harmoniumklängen getragen, aus der krautige Elektronik spriest. Den Abschluss bildet “The Lonely Cry of Lost Souls at Sea”, ein melancholisches, aber tröstendes Seefahrerlied mit eleganter Gitarrenbegleitung. Hier treten erstmals auch die männlichen Gastmusiker gesanglich in Erscheinung, wodurch das Album mit einer sanften, vielstimmigen Note ausklingt.
„A Colloquy of Birds“ ist ein in seiner Vielschichtigkeit beeindruckendes Werk, das sich seinem Thema auf poetische Weise nähert und zwischen archaischen Klängen und feinsinniger Klanggestaltung oszilliert. Die Kombination aus traditionellen Folkelementen, experimentellen Arrangements und einer erlesenen Instrumentierung macht es zu einem eindrucksvollen, atmosphärischen Album, das mit jedem Hören neue Facetten entdekcen lässt. (U.S.)
Label: Sonido Polifonico