“Hat man Charakterstärke, dann kann man sie als Treibstoff nutzen – nicht nur um zu überleben, sondern auch um über das bloße Überleben hinauszuwachsen, indem man eine innere Alchemie benutzt, die etwas Verrottetes, Schreckliches in Gold verwandelt”, sagt Zeena Schreck anlässlich ihres bereits vor knapp zwei Jahren erschienenen Albums “Transcend”, das vor seiner Veröffentlichung als Soundrack einer Ausstellung in New York fungierte. Die mit westlicher Prägung an die Transformationsvorstellungen der Alchemisten erinnernde Denkfigur spielt auch eine große Rolle im tantrischen Buddhismus, in welchem – im Unterschied zu anderen Ausprägungen der buddhistischen Lehren – auch allgemein als gefährlich oder gar als unrein betrachtete Handlungen zum Motor des inneren Erwachens werden können.
Dieser Zusammenhang ist schon deshalb interessant, weil Zeena seit vielen Jahren als Yogini und Lehrerin der Karma Kagyu-Linie des tibetischen Buddhismus aktiv ist. Das Album veröffentlichte sie am Saga Dawa Düchen-Feiertag, der im Jahr 2023 auf den 4. Juni fiel und an dem Buddhisten der Geburt, des Erwachens und des Parinavana des historischen Buddha gedenken. Die drei Stücke des knapp einstündigen Albums, deren Titel “Ascent”, “Parting Clouds” und “Gone Beyond” bereits auf buddhistische Themen anspielen, sind laut Zeena konzipiert als “meditative Reisen der Kontemplation und klanglichen Katharsis, die mit einem berauschend triumphalen Gefühl des Rasens durch Raum und Zeit enden, das den Ballast aller Schmerzen und Leiden abwirft und als Sieger hervorgeht”. Die kämpferische Wortwahl entstammt dabei keineswegs einem persönlichen Spleen der Künstlerin, sondern der buddhistischen tradition selbst, denn Buddhas werden oft als Sieger (Sanskrit: Jina) bezeichnet, weil sie als diejenigen gelten, die die inneren Feinde – insbesondere Unwissenheit, Gier und Hass – überwunden haben.
In einer einfachen Beschreibung könnte man die in der Tat meditativ ausgerichtete Musik auf “Transcend” als von zahlreichen Details durchmischte Ambientdröhnung beschreiben und in der Tradition der elektronischen Avantgarde der frühen 80er und der sogenannten kosmischen Musik verorten, die sich stark von der hörspielartigen Musik auf der F.W. Murnau gewidmeter EP der früheren Radio Werewolf-Musikerin unterscheidet. “Ascent” offenbart anfangs eine flächige Struktur und erscheint vom Sound sehr klar, doch schnell registriert man Details wie zum Beispiel etwas, das an himmlische Chöre erinnert und subtil zwischen die Dröhnung gemischt ist, auch offenbart die Musik mit der Zeit immer mehr von ihrer wellenförmigen, gezeitenhaften Gestalt. Zwischendrin ist es, als würde eine Lawine losbrechen, doch diese wird schnell, ähnlich dem stürmischen Rauschen, das an eine Fahrt im Regen erinnert, vom Fluss der Klänge absorbiert. Von großer melodischer Schönheit ist diese Musik nie wirklich einlullend, aber sie scheint eine Ehrfürchtigkeit anklingen zu lassen, die sich vor allem in den gehauchten Stimmfragmenten zu offenbaren scheint.
Das knapp halbstündige “Parting Clouds” ist so etwas wie das Herzstück des Albums. Es beginnt mit organischeren Klängen, die an das Surren tiefer Saiten erinnern, und scheint mir mit seinen hypnotischen und doch nie gänzlich regelmäßigen Wellen das gelungenste und beeindruckendste der Stücke zu sein – es weckt Erinnerungen an längst zu Klassikern ambienter Dröhnung gewordene Werke wie Nurse With Wounds “Salt Marie Celeste” und His Divine Grace’ “Reverse Aleph”, im Netz findet man verschiedene Vergleiche mit Brian Eno. Hier vernimmt man irgendwann Zeenas geloopte Stimme, die einen wie ein Mystagoge durch verschiedene Schichten der sirrenden Klänge führt und irgendwann wie ein sanfter Chor zum Teil des Hintergrundes wird. Das passt dann auch gut zu den immer melodischeren Sounds, die etwas warmes, tröstendes und fast liturgisches ausstrahlen.
Das anschließende “Gone Beyond” hat etwas von einem Ausblick in eine neue Welt, die dem ungewohnten Ohr, das noch von der entspannten Welt der sich teilenden Wolken verzaubert ist, ungewohnt ereignisreich vorkommen mag. Hier wirken die liturgisch eingefärbten Melodien wie von Stürmen geschüttelt, Stürmen, die auch die verwaschene Klangsubstanz in feurigen Intervallen voranpeitscht. Mit seinen Verfremdungseffekten, die wieder eine Erinnerung an krautige Elektronik besserer Zeiten wachruft, ist es das “psychdelischste” der Stücke und, ohne es überinterpretieren zu wollen, wunderbar geeignet zur klanglichen Begleitung einer Idee – gone beyond, auf Sanskrit paragate, ist in der buddhistischen Weisheitstradition, wie sie in Texten wie dem “Herz-Sutra” niedergeschrieben sind, ein zentraler Begriff für das Hinübergehen in einen Zustand jenseits dualer Vorstellungen.
Gleichwohl “Transcend” erfahren werden will, kann man die Titel als Hinweisschilder sehen, in welche Richtung das Album bei all dem geht – die drei Stücke künden von Wegen, die an einen anderen Ort führen, ganz gleich, ob sie – ähnlich den Leitern auf dem Covermotiv – krumm oder gerade sind. (U.S.)