Dem Cover dieser Veröffentlichung kann man entnehmen, dass Der Blutharsch und seine Infinite Church of the Leading Hand dieses Album lediglich „präsentieren“, wie es seinerzeit diverse World Serpent-Musiker gerne getan hatten. Jegliche Erwartung, dass hier Musiker jenseits von Albin Julius’ Combo am Werk sind, zerstreuen sich jedoch schon nach einigen Minuten, wenn das eröffnende Stück erst einmal in die Gänge gekommen ist und es sich abzeichnet, dass hier keine dunkle Ambientband zugange ist, sondern niemand anderes als die Infinite Church höchstselbst.
Man kann mutmaßen, dass die drei langen Stücke auf „The Wolvennest Sessions“ im Rahmen der Aufnahmen zum aktuellen Album „Joyride“ entstanden sind, denn atmosphärisch, textlich und soundmäßig gibt es einige Parallelen, auch hier setzt man auf einen eher breiigen, nicht sonderlich ausdifferenzierten Klang, schätzt das Repetitive und eine eher minimal-primitivistische Krautigkeit, zudem singt auch hier ausschließlich Marthynna. Der Themenkreis ist auch schnell benannt: Entgrenzung, der Wunsch danach, die Freude daran sowie die unmissverständliche Klarheit, dass all dies kein Idyll ist, sondern Überwältigung. Ein zentraler Unterschied: Die Stücke sind wie schon erwähnt sehr lang und über weite Passagen von einer eher schleppenden Gangart. Außerdem spielten Drumparts eine wesentliche Rolle.
Das eröffnende „Out Of Darkness Deep“ grollt und dröhnt in den ersten Minuten noch wie eine waschechte Doom-Industrial-Nummer, nur das retrolastige Synthiegedudel stört die Szenerie, so dass die irgendwann einsetzenden Twangs nicht mehr ganz so überraschen. Wenn Drumming, Stonerriffs und die Sängerin das Feld übernehmen, besteht endgültig kein Zweifel mehr, mit wem man es zu tun hat, zugleich wird einmal mehr klar, wie wenig man es hier mit Puristen von welchem Stil auch immer zu tun hat. Stellenweise dachte ich an die langsameren Stücke auf Lards „Power of Lard“-EP, und ein anderenorts aufgeschnappter Vergleich mit Ministry scheint das halbwegs zu bestätigen.
Ein gesampelter Vortrag auf Arabisch leitet über in das hypnotische „Unreal“, bei dem gekonnt plazierte Moog-Tupfer in eine rauschende Gitarrenwolke gehüllt die Melodie bestimmen. Für mich ist dies das Highlight des Albums und definitiv auch einer von Marthynnas besten Momenten. Ganz klar liegen ihr die monotoneren Melodieführungen, und wenn sie mit leichtem Akzent wie hypnotisiert Wörter wie „Faces“ und „Traces“ intoniert, bekomme ich Lust, mal wieder Nicos „The Falconer“ zu hören.
Auch hier stellen sich noch abenteuerlichere Assoziationen ein, und zwar an Burzums „Dunkelheit“, dem bei „Evil Love“ gleich das nächste Deja-Vu folgt, nämlich „Jesus Tod“ vom gleichen Album. Das Stück braucht eine Weile, um seine Richtung zu peilen und findet diese in einem holprig-schleppenden, fast sludge-artigen Sound. Die verruchte Liebe entpuppt sich als gegenseitige Verfolgungsjagd, bei der alle Beteiligten anscheinend ihre gewünschte Beute bekommen – auch hier also wieder: die schöne, wilde Utopie eines hardboiled wonderland, das – um die in einem früheren Albumtitel einmal gestellt Frage zu beantworten – nicht enden muss.
Jetzt fällt mir auf, dass ich nicht einmal „Psychedelic“ gesagt habe, dafür aber „Stoner“ und „Kraut“ . Wie dem auch sei, „The Wolvennest Sessions“ sagt mir persönlich noch mehr zu als „Joyride“, in jedem Fall ist es eine schöne Platte zwischendurch, die sich hoffentlich nicht allzu viele entgehen lassen aufgrund des „presents“, das ich tatsächlich weggelassen hätte. (U.S.)
Label: WKN