Künstler haben sich schon mit Diktatoren verglichen, um für ihren z.T. gewaltvollen Drang, eigene Welten zu schaffen, ein Bild zu finden. Eine andere Figur, die den Antrieb und die oft obsessive Getriebenheit künstlerischen Suchens spiegelt, ist der Entdecker und Eroberer, der mit Einsatz seiner Lebenskräfte und oft ohne Rücksicht auf sich und andere neue Länder entdeckte – auf der Suche nach neuen Horizonten, aber auch nach Ruhm, dem sagenhaften Goldland oder der Quelle ewiger Jugend. Dylan Carlson, in der Hauptsache bekannt als Gitarrist und Kopf von Earth, sagte kürzlich, dass er auch diese Analogie im Sinn hatte, als er die Geschichte eines historischen Eroberers, der zusammen mit seinem maurischen Diener den Südwesten der heutigen USA erkundete, zum Stoff seines ersten Soloalbums machte. Die einzelnen Stücke sollen die odysseeartige Wanderung durch Wüsten, Berge und Prärien bis zum Golf von Mexiko nachzeichnen.
Wenn es eine Eigenschaft gibt, die mit dem Wesen des Suchens immer verknüpft sein sollte, dann ist es die Geduld und die Fähigkeit, Ungewissheit, Statik und Repetition zu ertragen und all dem gegebenenfalls sogar einen eigenen Wert abzugewinnen. Atmosphärisch scheint sich im Opener und Titeltrack, dem längsten Stück auf dem gut halbstündigen “Conquistador”, vieles darum zu drehen. Von schweren rasselnden Ketten begleitet dröhnen raue Gitarren einen schleppenden Desertblues, bei dem sich gemächliche Melodiefolgen entfalten. Erst mit der Zeit kommen kleine Bewegungen ins Bild, und immer bewirken sie eine leicht Aufweichung und Öffnung des Klangmaterials, bis sich alles in der fast folkigen Melodie eines furiosen Gitarrensolos entläd.
Insgesamt entfaltet “Conquistador” ein von dramatischen Steigerungen und retardierenden Momenten durch unwegsames Gelände geleitetes Narrativ, in dem zwei Abschnitte, nämlich die Tracks “When the Horses Were Shorn of their Hooves” und “Scorpions in their Mouths” die emotional aufwühlendsten Momente aggressiver Verzweiflung bereithalten, vorangetrieben durch wie Motoren knarrende Gitarren, durch deftige Riffs und doomige Leadmelodien, durch Becken, die wie gewetzte Klingen rasseln – hier bricht sich etwas Bahn, dessen Ausgang noch ungewiss ist, und das man doch nur begrüßen kann, auch wenn ein zwischengeschaltetes Interludium noch einmal Bedenkzeit gestattet. Die Rauschschwaden, in denen der Aufruhr am Ende verschwindet, haben etwas Erlösendes und leiten über in den letzten Akt “Reaching the Gulf”, der mit fast lieblichen mexikanischen Fingerpickings und der angeregten Perkussion von Carlsons Frau Holly einen versönlichen Abschluss schafft.
Carlson ist auf seine Art ein guter Erzähler, hat zuletzt als Drcarlsonalbion u.a. von englischer Folkmusik beeinflusste Musik für einen Film produziert, und viele seiner Arbeiten mit Earth hatten literarische Hintergründe. So z.B. “Hex”, das auf einen Roman von Cormack McCarthy verweist. “Conquistador” knüpft dort am ehesten an, inhaltlich, aber auch was die Rückbesinnung zu Americana-Motiven betrifft. (A.Kaudaht)
Label: Sargent House