Mit den sechs Gemälden seines Jahreszeiten-Zyklus, bzw. den fünf erhalten gebliebenen, schuf Pieter Bruegel der Ältere einige der bekanntesten Werke der niederländischen Renaissance. Sie zeigen die Veränderungen der Natur und am Beispiel eines mitteleuropäischen Landvolkes die Situation der Menschen, die diesem Kreislauf unterworfen sind: Ihre Nöte, ihre Kraft, ihre Anstrengungen, diesen Gegebenheiten einen Lebensunterhalt abzutrotzen. Und obwohl in den Arbeiten, deren Titel Der düstere Tag, Die Heuernte, Die Kornernte, Die Heimkehr der Herde und Die Jäger im Schnee lauten, nur bedingt Idyllisches zu finden ist, auch Momente der Zerstreuung, der Erleichterung und der Einkehr. Eine ähnliche künstlerische Haltung, die Realismus und Empathie zusammenbringt, findet sich auch in “Hunters in the Snow – A Contemplation On Pieter Bruegel‘s Series Of The Seasons”, einem dunkel-ambienten Zyklus an Kompositionen, mit denen die Musiker Anemone Tube, Jarl und Monocube jüngst eine Annäherung an die Serie des flämischen Meisters wagten.
Einer Musik, die sich auf ein bestimmtes Werk der Malerei bezieht, geht es meist weniger darum, die Aussage des Bildes im eigenen Medium neu zu inszenieren, viel eher ist sie ein durch ein atmosphärisches Moment inspirierter “Kommentar”, der sich zu einem eigenen Werk verselbständigt. Bei den drei Musikern, die in den einzelnen Tracks immer wieder in anderen Konstellationen auftreten, liegt diese Deutung nah, denn mit ihren kontemplativen Soundscapes zwischen Ambient und dunklem Industrial arbeiten sie weitgehend abstrakt und intuitiv.
“The Gloomy Day”, an dem Hauptinitiator Anemone Tube und IRM-Gründungsmitglied Erik Jarl beteiligt sind, zeichnet den noch kühlen Vorfrühling aus Bruegels Landschaft im Sonnenuntergang in vielfarbig dröhnenden Klängen, in deren melierte Färbung jedoch immer mehr eine sublime Düsternis einzieht, flankiert von dumpfen, schicksalsschweren Paukenschlägen. Finden sich hier Jarl-Akzente im Rahmen der Handschrift des Berliner Musikers, so scheint beim frühlingshaften, aber kaum wonnigen “The Hay Harvest” Jarl die Richtung mit schneidenden Samples und obskuren Stimmen vorzugeben, die im Albumkontext die wohl konkreteste Bezugnahme auf die Geschäftigkeit der Bildfiguren darstellen. Ein jäher Bruch allerdings bringt die emsigen Geräusche zum verstummen und katapultiert die Hörer in einem enormen Gegenzoom in ein eine fast gottgleiche Position, von der aus er die Landschaft einmal mehr in erhabener Dunkelheit verschwinden sieht. Im hochsommerlichen “The Harvesters”, das das Erntethema fortführt, hat der ukrainische Ambientmusiker Monocube seinen ersten Auftritt, der zusammen mit Anemone Tube zunächst das Wetter und die Gezeiten sprechen lässt. Wie im Bruegelschen Bild nur marginal zu sehen, findet die Kornernte in Küstennähe statt. Doch bald schon rückt auch hier die Atmosphäre des menschlichen Tagewerks ins Zentrum mit disharmonischem Bohren und Brummen, das die Erntetätigkeit zu einer Art Allegorie menschlicher Alltagspflichten werden lässt, während Kleinteiliges durch den Raum fällt und tropft. Es ist das wohl lauteste und heftigste Stück des Zyklus mit der Räudigkeit eines schmerzhaften Sonnebrandes.
Der Herbst ist die Zeit der Besinnung und Einkehr und vielleicht auch der heimeligen Melancholie, und so beginnt das von Anemone Tube allein bestrittene “The Return of the Herd” fast schon traditionell mit streicherartigen Sounds, die sich in beinahe sanften Wellen fortbewegen, entschleunigte Pianotupfer, aber auch (Unheilvolles ankündigende?) Feedbacksounds kommen hinzu. Das als Titeltrack ausgewählte Winterstück “The Hunters in the Snow”, an dem nun alle drei Musiker beteiligt sind, ist mit seiner Länge von über achtzehn Minuten Höhepunkt und Finale der Sammlung. Mit seinem abrupt-brachialen Auftakt und dem rauen Vibrato der pulsierenden Synthies, mit den wirklichkeitsdurchbrechenden Breaks und den immer wieder neu angestoßenen dynamischen Schüben scheint die Komposition eher eine Treibjagd als eine subtile Pirsch einzufangen, und während das Gemälde die Jäger bei der Heimkehr zeigt, hat der Track scheinbar alle Anzeichen der strapaziösen Jagd und auch aller anderen Strapazen des zurückliegenden Jahres mit im Gepäck.Die allumfassende, fast kosmologische Weltdarstellung, die Bruegel in seinem Zyklus anstrebte, scheint ein zentrales Interesse der drei Musiker zu sein. In dem ausführlichen Essay von Sven Schlijper-Karssenberg und Kim Dohlich, der im Booklet abgedruckt ist, werden diese als “worldscapes, endless cycles of growth and decay, of beauty and melancholy, fear and joy” bezeichnet, die eine Welt voller Ambiguität zwischen Frieden, Aufruhr und Abhänigkeit von einer indifferenten Natur, zwischen Existenznot und dem Zwang zu Töten, zwischen Bewegung und Stillstand präsentieren. Die Musik fungiert den AutorInnen zufolge als ein noch unmittelbareres Vehikel, die im Bilderzyklus thematisierte Zeit erfahrbar zu machen, während der Umweg über den interpretierenden Verstand umschifft werden kann. Mit dem im Booklet zitierten Autor Jean Gerbser zu sprechen, wird man von ihr “ganz zum Hiersein verführt”. Ganz abgesehen von dieser Funktion besticht die Musik durch eine außerordentliche Dichte, die man als einziges Kollaborationsmerkmal anführen mag, wohingegen ihr jeglicher Kompromisscharakter, der so vielen Zusammenarbeiten anhaftet, fehlt. Durch den Kontext der Bilder kann sie an weiterer Tiefe nur gewinnen. (U.S.)
Label: The Epicurean / AufAbwegen